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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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des Heiligen entstammen soll, und solches, mit dem Wein des Jahres verrührt, wird sein Haupt zu Boden zwingen. «
    »Kannten Sie das schon vorher, Veyrenc?«
    »Aber nein, ich habe es gerade gelesen.«
    »Verstehen Sie es?«
    »Nein.«
    »Ich auch nicht.«
    »Es geht darum, sich das ewige Leben zu verschaffen«, sagte Danglard ungehalten. »So was erlangt man nicht im Handumdrehen.«
    Eine halbe Stunde später luden Adamsberg und seine Mitarbeiter die Taschen ins Auto für ihre Rückreise nach Paris. Danglard schimpfte über den Kaminschirm im Fond, ganz zu schweigen von dem Hirschgeweih, das die gesamte Rückbank versperrte.
    »Es gibt nur eine Lösung«, sagte Adamsberg. »Wir verstauen die Geweihstangen vorn, und die beiden Mitfahrer setzen sich nach hinten.«
    »Wir sollten das Geweih besser hierlassen.«
    »Sie machen Witze, Capitaine. Übernehmen Sie das Steuer, Sie sind der Größte. Veyrenc und ich werden uns links und rechts neben den Kaminschirm setzen. Das kommt uns sehr zupaß.«
    Danglard wartete, bis Veyrenc in den Wagen gestiegen war, und zog Adamsberg beiseite.
    »Er lügt, Kommissar. Niemand kann sich solch einen Text einprägen. Niemand.«
    »Er ist hochbegabt, das hatte ich Ihnen doch schon gesagt. Es kann ja auch niemand so Verse schmieden, wie er es tut.«
    »Erfinden und sich erinnern ist zweierlei. Er konnte diesen verdammten Text aufs Komma genau aufsagen. Er lügt. Er kannte die Medikation bereits aus dem Effeff.«
    »Und was hätte er damit anstellen wollen, Danglard?«
    »Keine Ahnung, aber es ist eine Teufelsrezeptur, bis in alle Ewigkeit.«

30
    »Sie trug blaue Schuhe«, verkündete Retancourt und stellte einen Plastikbeutel auf Adamsbergs Schreibtisch.
    Adamsberg sah erst den Beutel, dann den Lieutenant an. Sie hielt die Katze unter ihrem Arm, und Die Kugel ließ sich selig tragen, wobei ihre Pfoten und der Kopf wie ein Lappen schlaff herunterhingen. Mit einem solch raschen Ergebnis hatte Adamsberg nicht gerechnet, eigentlich hatte er mit überhaupt keinem Ergebnis gerechnet. Doch jetzt standen die Schuhe des Todesengels auf seinem Tisch, abgetragen, ausgetreten und – blau.
    »Unter den Sohlen findet sich keine Spur von Schuhcreme«, fügte Retancourt hinzu. »Aber das ist normal, immerhin sind sie in den letzten zwei Jahren viel getragen worden.«
    »Erzählen Sie«, sagte Adamsberg und kletterte auf den schwedischen Barhocker, den er in sein Büro gestellt hatte.
    »Der Immobilienmakler läßt das Häuschen verwahrlosen, er weiß, daß es unverkäuflich ist. Niemand hat nach ihrer Festnahme die Reinigung des Hauses übernommen. Trotzdem waren die Räume leer, als ich kam. Keine Möbel mehr, kein Geschirr, keine Kleidung.«
    »Also? Raub?«
    »Ja. In der Gegend dort wußten alle, daß die Krankenschwester keine Angehörigen hatte und ihre Sachen in sehr gutem Zustand waren. Nach und nach wurde es immer selbstverständlicher, daß man dort plünderte. Ich habe mehrere besetzte Häuser und ein Zigeunerlager durchforstet. Zusammen mit den Schuhen habe ich noch eine Bluse und eine Decke gefunden, die ihr gehört haben.«
    »Wo genau?«
    »In einem Wohnwagen.«
    »In dem noch jemand wohnte?«
    »Ja. Aber wir brauchen nicht zu wissen, wer, oder?«
    »Nein.«
    »Ich habe der Frau versprochen, ihr die Schuhe zu ersetzen. Sie hat keine anderen, außer einem Paar Hausschuhe. So was fehlt ihr.«
    Adamsberg schwang die Beine hin und her.
    »Vierzig Jahre lang«, murmelte er, »hat die Krankenschwester alte Leute mit der Spritze kaltgemacht, was bedeutet, daß es so etwas wie ein echter Beruf war, eine feste Tradition über ein halbes Lebensjahrhundert hinweg. Wieso sollte sie sich plötzlich dem Okkulten zuwenden, indem sie bezahlte Totengräber anheuert und Jungfrauen ausgraben läßt? Ich begreife das nicht, eine solche Kehrtwendung ist nicht logisch.«
    »Die Krankenschwester ist es auch nicht.«
    »Doch. Jeder Wahn ist starr, jeder Wahn folgt einer Bahn.«
    »Vielleicht hat die Zeit im Gefängnis sie von ihrem alten Muster abgebracht.«
    »Das denkt auch die Gerichtsmedizinerin.«
    »Warum sagen Sie ›Jungfrauen‹?«
    »Weil Pascaline eine war, genau wie Élisabeth. Und ich nehme an, daß es für die Grabschänderin von Bedeutung ist. Die Krankenschwester hat auch nie einen Gefährten gehabt.«
    »Also müßte sie das mit Pascaline und Élisabeth irgendwie erfahren haben können.«
    »Ja, und demnach hat sie sich in der Haute-Normandie aufgehalten. Als Krankenschwester wird einem mehr

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