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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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müssen ein Mittel finden, Lieutenant.«
    »Keine Sorge, der Stein ist schon im Kofferraum meines Wagens. Und er ist auf einer Seite mit Flechten überzogen.«
    Danglard fragte sich, ob das Mittel, das Retancourt gebraucht hatte, nicht noch einfacher gewesen war als Devalons Fäuste.
    »Ich habe noch etwas anderes«, sagte Adamsberg. »Ich weiß, was mit Narziß passiert ist.«
    Ja, dachte Danglard etwas mutlos, das weiß jeder seit zweitausend Jahren. Narziß verliebte sich in sein Spiegelbild auf dem Wasser, er näherte sich, um danach zu greifen, und ertrank im Fluß.
    »Nicht die Eier, sondern das Glied wurde ihm abgeschnitten«, erklärte Adamsberg.
    »Gut«, sagte Retancourt. »Wo sind wir, Kommissar?«
    »In einer abscheulichen Geschichte. Kommen Sie recht schnell zurück, Lieutenant, der Katze geht’s nicht besonders gut.«
    »Das kommt daher, weil ich weggefahren bin, ohne ihr Bescheid zu sagen. Geben Sie sie mir.«
    Adamsberg kniete sich hin und hielt der Katze das Mobiltelefon ans Ohr. Er hatte mal einen Schäfer gekannt, der mit seinem Leitschaf telefonierte, um dessen seelisches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, seither erstaunten ihn solche Dinge nicht mehr. Er erinnerte sich sogar an den Namen des Schafs, George Sand. Vielleicht fänden sich Georges Knochen eines Tages geheiligt in einem Reliquiengefäß wieder. Die Katze hatte sich auf den Rücken gerollt und hörte zu, wie Lieutenant Violette ihr erklärte, sie käme bald zurück.
    »Darf ich fragen, worum es geht?« fragte Danglard.
    »Beide Frauen sind ermordet worden«, sagte Adamsberg und stand wieder auf. »Wir trommeln alle zusammen. Kolloquium in zwei Stunden.«
    »Ermordet? Nur um drei Monate später ihren Sarg wieder zu öffnen?«
    »Ich weiß, Danglard, das klingt nicht logisch. Aber einem Kater das Glied zu amputieren auch nicht.«
    »Das ergibt durchaus einen Sinn«, konterte Danglard, der sich in den Tempel des Wissens flüchtete, sobald er den Boden unter den Füßen verlor, ganz so wie andere sich ins Kloster zurückziehen. »Ich kannte Zoologen, die haben dem große Bedeutung beigemessen.«
    »In welchem Zusammenhang?«
    »Um an den Knochen darin heranzukommen. Es steckt ein Knochen im Glied des Katers.«
    »Sie machen sich über mich lustig, Danglard.«
    »Es steckt ja auch ein Knochen im Rüssel des Schweins.«

31
    Adamsberg ließ sich zur Seine hinunter treiben, dem Flug der Möwen folgend, die er in der Ferne kreisen sah. Der Pariser Fluß, sosehr er an manchen Tagen auch stank, war seine fließende Zuflucht, der Ort, an dem er seine Gedanken am besten auslüften konnte. Er ließ sie frei, wie man einen Schwarm Vögel aufsteigen läßt, und sie zerstreuten sich über den Himmel, spielten, indem sie sich vom Wind emportragen ließen, leichtfertig und unbesonnen. Es mochte paradox erscheinen, doch unbesonnenes Denken war Adamsbergs vorrangige Tätigkeit. Die ganz besonders notwendig wurde, wenn zu viele Einzelheiten seinen Geist verstopften, sich zu kompakten Paketen auftürmten, die jegliches Handeln verhinderten. Dann konnte er nur noch seinen Kopf aufklappen und alles hinausflattern lassen. Was mühelos geschah, nun, da er die Stufen zum Ufer hinabstieg.
    Bei diesem Aufwärtsgestiebe gab es immer einen Gedanken, der hartnäckiger war als die anderen, wie die Möwe, die damit beauftragt war, über das gute Benehmen der Gruppe zu wachen. Eine Art Chef-Gedanke, ein Bullen-Gedanke, der angestrengt die anderen beobachtete und sie daran hinderte, die Grenzen der Wirklichkeit zu überschreiten. Der Kommissar suchte den Himmel nach der Möwe ab, der heute die monomane Rolle des Gendarmen zukam. Er erkannte sie schnell, sie herrschte gerade eine Junge an, die zum Spaß mit dem Gegenwind kämpfte und ihre Pflichten vergaß. Danach stürzte sie sich auf eine andere Leichtfertige, die dicht überm schmutzigen Wasser segelte. Bullen-Möwe schrie ununterbrochen. Im Augenblick schoß ihm sein ebenfalls monomaner Bullen-Gedanke im Schnellflug durch den Kopf, sauste unaufhörlich hin und her und kreischte: Es steckt ja auch ein Knochen im Rüssel des Schweins, es steckt ja auch ein Knochen im Glied des Katers.
    Diese neuen Erkenntnisse beschäftigten Adamsberg sehr, während er weiter am Fluß umherstreifte, der heute tiefgrün und ziemlich bewegt war. Es gab sicher nicht sehr viele Menschen, die wußten, daß im Penis des Katers ein Knochen steckte. Und wie hieß dieser Knochen? Keine Ahnung. Und wie sah er aus? Keine Ahnung. Vielleicht war er

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