Die dritte Sünde (German Edition)
sicher schon auf uns.«
Er tat wie geheißen. Wie hätte er auch anders handeln können, obwohl sie ihm eine Antwort schuldig geblieben war. Vielleicht würde die Zeit eine Lösung bringen.
Craven House, London, 24. Juni 1838
Kapitel 33
»Sie sind also der Meinung, ich sollte Havisham heiraten?«
»Aber sicher, meine liebe Isobel. Etwas Besseres als der Antrag dieses Mannes konnte dir gar nicht passieren.«
»Aber er ist so alt und er gefällt mir nicht.« Isobel rümpfte die Nase. »Er ist so überhaupt nicht hübsch.«
Lady Craven lächelte geduldig. »Das Aussehen eines Mannes, selbst sein Benehmen, ist zu vernachlässigen im Hinblick auf den Umfang seiner Börse, und da hat Mr Havisham – der, da muss ich dir widersprechen, überdies ein recht ansprechendes Mannsbild ist, wie ich meine – doch Erhebliches zu bieten. Weißt du, mein Liebes, auch deine Mutter war sich dieser Tatsache überaus bewusst. Der Altersunterschied zwischen deinem Vater und ihr war ebenfalls nicht unerheblich, größer als der zwischen Mr Havisham und dir. Immerhin war dein Vater bereits dreiundvierzig und deine Mutter gerade erst zwanzig, als sie seiner recht nachdrücklichen und stürmischen Werbung nachgab.«
Isobel dachte nach. So hatte sie es noch nie betrachtet. Konnte es denn wirklich sein, dass ihre Mutter ihren Vater lediglich aus Gründen der finanziellen Absicherung geehelicht hatte? Hatte ihr Vater nicht immer voller Stolz darauf hingewiesen, dass Imogen Cunningham trotz erheblicher Konkurrenz schließlich ihn erwählt hatte? Isobel hatte Zeit ihres Lebens an eine romantische Liebesgeschichte zwischen ihren Eltern geglaubt, aber nachdem sie den gestrigen Tag und auch die Nacht im Hause Lady Cravens verbracht hatte, stellten sich die Dinge doch anders dar. Überhaupt hatte sie einen Einblick in das Leben und Wesen ihrer Mutter gewonnen, der sie einerseits fast schockiert, andererseits aber auch fasziniert hatte. Sie war ihrer Mutter offenbar wirklich sehr ähnlich, nicht nur vom Aussehen her, sondern auch, was ihr Wesen anbelangte. Lady Craven hatte mit dieser spontan getroffenen Feststellung mehr als recht gehabt.
Imogen Cunningham und Jemina Bentley hatten sich, so hatte ihr Lady Craven ausführlich und überaus spannend berichtet, auf einem Institut für höhere Töchter kennengelernt. Die junge Jemina war erst später auf diese Schule geschickt worden, nicht zuletzt deshalb, weil ihre Mutter – eine Witwe, aber durchaus wohlhabend – sich nicht mehr in der Lage sah, ihr vorwitziges, längst ins Backfischalter gekommenes Töchterchen zu bändigen und sich von der Erziehung in der renommierten und angeblich für ihre Disziplin bekannten Londoner Schule Hilfe und Entlastung in der für sie zu schweren Aufgabe versprach. Disziplin war ein Attribut, das die Schule der Mrs Potter wohl einmal vor Jahren ausgezeichnet haben mochte, das aber war schon lange Vergangenheit. Mrs Potter hatte, wie Imogen der ihr völlig ergebenen Jemina bald mitteilte, sich dem Trunke ergeben, obwohl sie es gegenüber den oft recht wohlhabenden Eltern ihrer Elevinnen zu verbergen wusste. Das Personal war in der Folge nachlässig geworden, da die Leitung es sträflichst versäumte, ihre Pflichten wahrzunehmen.
Die beiden früh erblühten Mädchen hingegen waren fasziniert von den Verlockungen, die ihnen ihr erwachender weiblicher Körper versprach. Vor allem Imogen, neugierig und von einem unbändigen Freiheitsdrang beseelt, verstand es spielend, ihre Bewacherinnen auszutricksen, an der Nase herumzuführen und schließlich auch zu bestechen. Mehr als einmal hatten die beiden inzwischen sechzehnjährigen jungen Mädchen sich des Nachts davongestohlen und in London vergnügt. Natürlich in männlicher Begleitung. Imogen hatte nämlich kurz zuvor auf einer harmlosen Gesellschaft einer Freundin ihrer Mutter die Bekanntschaft eines adeligen, sehr erfahrenen und weltläufigen Mannes gemacht. Dieser hatte sie nicht nur – natürlich ohne Wissen der mit ihrer Erziehung Beauftragten – in die Zerstreuungen des nächtlichen Lebens in London eingeführt, sondern ihr bei heimlichen Treffen auch die Freuden des Liebesspiels eröffnet. Eine Kunst, die er in Perfektion beherrschte und gerne an seine überaus wissensdurstige Schülerin weitergab. Da er über einen ebenfalls einschlägig interessierten Freundeskreis verfügte, ergab sich auch bald die Gelegenheit für Jemina, sich in diesen Dingen fortzubilden. Die ausgewählten Herren, die sich in dem
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