Die dritte Sünde (German Edition)
das schien einer Miss Hunter zu genügen. Was blieb ihr auch anderes übrig?
Die schwer geprüfte Gouvernante hatte mit der Zeit allerdings auch gelernt, den durchaus positiven Einfluss, den Cathy, das unwürdige Kind, auf die Tochter des Herrn von Whitefell hatte, für sich zu nutzen. Isobel schien eher geneigt, vernünftigen Anweisungen Folge zu leisten, wenn diese als unterwürfige Bitte verpackt aus Cathys Munde kamen. Wobei Cathy aber sorgsam darauf achten musste, dass sie den Bogen nicht überspannte. Isobels Launen wechselten wie das Wetter im April. Seit dem Winter in ihrem dreizehnten Jahr, als bei ihr die monatlichen Blutungen einsetzten – ein Umstand, den Miss Hunter nur unzureichend zu erklären wusste und zu dem sie auch nur äußerst dürftig mit schamhaft gesenkten Augenlidern die notwendigen Anweisungen zu geben bereit war, denen Cathy bald darauf auch Folge zu leisten hatte – war es in diesen besonderen Zeiten sogar regelrecht gefährlich, Isobel in irgendeiner Form zu reizen oder gegen sich aufzubringen. Dann konnte es schon einmal vorkommen, dass Geschirr oder andere Preziosen zu Bruch gingen. Cathy räumte die Überreste solcher Zornesausbrüche dann jedes Mal schweigend zur Seite.
Sie nahm die Launen der Tochter des Hauses hin. Was hätte sie auch sonst tun sollen? Natürlich hätte sie damals vielleicht doch nach einigen Tagen nach Salisbury gehen können, aber die trockene und einigermaßen warme Schlafstatt und das regelmäßige Essen hatten sie trotz ihrer Furcht auf Whitefell bleiben lassen. Immer weiter hatte sie den Tag ihres Fortgehens hinausgezögert, zumal Isobel sie seither als ihr persönliches Eigentum zu betrachten schien, und irgendwann, so hatte Cathy gespürt, war es zu spät gewesen, sich aus dem ungewöhnlichen Arrangement noch zu lösen.
Cathy nahm, als sie das eben beendete Büchlein in die Tiefen einer verborgenen Abseite des Daches zu den anderen steckte, ein älteres Buch heraus. Es war eines der ersten, das sie vollgeschrieben hatte, in ihrer noch ungelenken Schrift und mit etlichen Schreibfehlern gespickt. Trotzdem barg es Erinnerungen, die sie zwar schmerzten, die sie aber in sich wachhielt.
In diesem Buch fand sich unter der Eintragung am 15. September 1833 eine Notiz, die besagte:
Heute kam Vater mit Billie, Mary und seiner neuen Frau, Ruby, nach Whitefell. Er hatte Mrs Branagh über den Stand der Ernte und den Umfang des Überschusses, der nach Salisbury zum großen Markt gebracht werden sollte, zu berichten. Als ich es vom Fenster aus sah, bin ich, nach einigem Zögern und trotz Isobels Unwillen, hinuntergelaufen. Billies Arm ist zwar wieder verheilt, aber er kann ihn nicht mehr richtig bewegen. Es war schrecklich für mich, das zu sehen.
Vater wusste ja bereits, dass ich jetzt auf Whitefell lebe. Er hat zu mir herübergeschaut, aber nichts zu mir gesagt. Leider haben auch Billie und Mary nicht mit mir gesprochen. Mary ist größer geworden und versteht sich wohl gut mit der neuen Frau Ruby. Ruby scheint freundlich zu ihnen zu sein, sie hat gute Augen, wenn auch ihr Geist nicht so rasch zu sein scheint. Aber sie scheut sich nicht anzupacken. Ich glaube, Vater hat es gut mit ihr getroffen. Ich hätte Billie so gerne in den Arm genommen, aber Vater wollte es nicht. Ich glaube, er kann mir nie mehr verzeihen. Es tut weh, aber wenigstens scheint es ihnen einigermaßen gut zu gehen. Dafür will ich dankbar sein.
Isobel meinte, es geschehe mir ganz recht, dass meine Familie mich nicht sehen wollte. Ich hätte nicht herunterlaufen dürfen, wo wir doch gerade Isobels neue Kleider anschauten. Vielleicht hat sie recht.
Obwohl sie diese Zeilen schon auswendig kannte, spürte Cathy, wie sich der altbekannte Schmerz wieder einstellte, der ihr immer noch wie eine tiefe Narbe in der Seele saß. Sie wusste es selbst: es tat ihr nicht gut, sich diese Geschehnisse immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, aber andererseits war diese Erinnerung etwas, das ganz allein ihr gehörte. Dieser Schmerz war etwas, auf das Isobel de Burgh, die Cathy als ihren Besitz betrachtete, keinen Anspruch hatte.
Tatsächlich hatte sie in den vergangenen fünf Jahren keinerlei Kontakt mehr zu ihrer Familie gehabt. Mary war inzwischen vierzehn Jahre alt und erinnerte Cathy in ihrer Knochigkeit an sich selbst in diesem Alter. Sie sah ihre Leute hin und wieder, wenn sie wegen landwirtschaftlicher Belange nach Whitefell kamen. Ruby und Mary waren zwar selten dabei, spätestens seit ein weiteres
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