Die dritte Sünde (German Edition)
geschmeidig. Dies wurde noch unterstrichen durch den muskulösen Oberkörper, der sich unter dem Hemd abzeichnete, und seine wohlgeformten, langen Beine, die in einer wettergegerbten schmalen Lederhose steckten. Cathy wunderte sich keinen Moment über die Faszination, die der neue Knecht auf Isobel ausübte. Er sah tatsächlich aus, als wäre er einem von Isobels Romanen entsprungen. Auch sie verspürte eine ungewohnte Neugier.
»Oh, das ist also der neue Stallknecht, von dem Vater vorgestern gesprochen hat!«, stellte Isobel zufrieden fest, während sie seinen Weg über den Hof verfolgte. Dann kam plötzlich Leben in sie. »Ich muss unbedingt hinunter in den Stall und ihn mir aus der Nähe anschauen.« Flugs rannte sie in Richtung Zimmertür, als Miss Hunter eintrat.
»Miss de Burgh, Ihr Vater wünscht Ihre Anwesenheit im unteren Salon. Sein Geschäftsfreund ist eben eingetroffen und Mr de Burgh hofft, nein, erwartet , dass Sie Mr Havisham Ihre Aufwartung machen.«
Isobel zog eine unwillige Schnute. »Was? Ich soll mich zu Vater und Mr Havisham setzen, damit sie mich wieder mit ihren ermüdenden Gesprächen quälen? Das kann doch wohl nicht wirklich Vaters Ernst sein! Ich habe ihm schon öfter gesagt, dass ich mich zu Tode dabei langweile. Außerdem …«
Miss Hunter ließ sie nicht ausreden. »Miss de Burgh, ich muss Sie wohl nicht darauf aufmerksam machen, dass Sie in Ihrem Alter nunmehr die Pflichten der Hausherrin zu übernehmen haben. Da Ihr Vater Witwer ist und Sie die einzige Tochter sind, ist das unbestritten Ihre Aufgabe.«
Isobel verdrehte die Augen. Normalerweise legte sie durchaus Wert auf solche Anlässe, bei denen sie sich präsentieren und stolz die Dame des Hauses mimen konnte, aber im Moment hatte sie Besseres vor. Sie öffnete den Mund, um Miss Hunter ihren Unwillen, gerade jetzt ihre Pflichten wahrnehmen zu müssen, mitzuteilen, als Miss Hunter, vorausahnend, was ihr Schützling vorbringen würde, lapidar bemerkte: »Ihr Vater teilte mir mit, dass er hoffe, Sie werden sich zu diesem Anlass von Ihrer besten Seite zeigen, da er das als eine Art Probelauf für Ihre gestern festgelegte Einführung in die Londoner Gesellschaft betrachtet.«
Isobel klappte den Mund augenblicklich wieder zu. Das waren allerdings Neuigkeiten! Warum hatte man sie nicht früher informiert? So hatte ihr Vater also endlich den Termin für ihr Debüt festgelegt. Der schöne Stallknecht rückte augenblicklich auf die hinteren Ränge ihres Interesses.
»Nun, Miss Hunter, dann schicken Sie mir sofort Ruby hinauf! Ich kann mich ja so«, sie zerrte unwillig an ihrem reizenden weißen mit rosa Litzen abgesetzten Kleid, »unmöglich unten blicken lassen.«
Miss Hunter nickte befriedigt und verließ den Raum. Cathy fragte sich, ob die Sache mit der angeblichen Probe nur eine Finte von Miss Hunter war, um Isobel ihren Willen aufzuzwingen. Jedenfalls hatte die Gouvernante diesmal, was selten genug vorkam, den Sieg davongetragen.
Sie wartete ab, ob Isobel ihr befahl, bei der Unterredung zugegen zu sein. Das kam hin und wieder vor, wenn Isobel befürchtete, sich zu sehr zu langweilen. Cathy war solchen Gelegenheiten durchaus nicht abgeneigt, gab es in den Gesprächen – zumindest wenn Geschäftsleute aus der Umgebung bei Mr de Burgh zu Gast waren – durchaus Interessantes zu hören über die Entwicklung des Empire und dessen wirtschaftliche Lage. Doch diesmal hatte Isobel andere Pläne. Der Stallknecht war doch nicht ganz vergessen.
»Cathy, ich möchte, dass du nach unten gehst und versuchst, etwas über den neuen Knecht herauszufinden. Wie heißt er? Woher kommt er? Wie alt ist er? Ach, du weißt schon, einfach alles. Und dann berichtest du mir!« Isobel knetete ihre Lippen. »Zu dumm, dass ich nicht selbst gehen kann. Ich möchte zu gern wissen …«, sie verstummte einen Augenblick. Cathy konnte nur vermuten, was Isobel so dringend zu wissen verlangte, doch da sprach Isobel schon weiter: »Dann kommst du in den Salon. Hast du verstanden?«
Cathy nickte, obwohl sie nicht wusste, wie sie an die von Isobel so dringend eingeforderten Informationen herankommen sollte. Sie konnte doch nicht einfach in den Stall gehen und den fremden Knecht nach Strich und Faden ausfragen.
Vielleicht gelang es ihr ja, in der Küche – der Klatschbörse des Whitefell’schen Haushaltes – etwas aufzuschnappen.
Kapitel 12
Als Cathy in die geräumige Küche eintrat, schlug ihr wie gewohnt argwöhnisches Schweigen entgegen. Die Köchin
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