Die dritte Sünde (German Edition)
dies gewährt wurde. Das Tagebuchschreiben war ihr, seit sie im Zuge des Unterrichts bei Miss Hunter schreiben gelernt hatte, ein tiefes inneres Bedürfnis. Eine Gewohnheit, die sie erfolgreich selbst vor der neugierigen Isobel verbarg.
Zum Glück kam Isobel nur in äußerst seltenen Fällen zu ihr nach oben unter das Dach. Sie graulte sich vor den Spinnweben, die sich Cathy deshalb auch sorgfältig hütete zu entfernen. Besonders in der verborgenen Ecke des riesigen Dachbodens von Whitefell, in der sie ihre nun schon auf die stattliche Anzahl von siebzehn Schreibbüchlein angewachsene Sammlung ihrer Gedanken zu verstecken pflegte. Die Vorstellung, dass Isobel diese entdecken oder gar lesen könnte, trieb ihr Schauer der Furcht über den Rücken. Das durfte auf keinen Fall geschehen, da auch mancher vielleicht nicht ganz so schmeichelhafte Gedanke über Isobel de Burgh darin zu finden war.
Nicht, dass Isobel ausschließlich bösartig gewesen wäre, aber sie schätzte es überhaupt nicht, wenn Cathy es wagte, Geheimnisse vor ihr zu haben und konnte dann mitunter recht rachsüchtig sein.
Fünf Jahre war es nun her, seit Cathy zu Isobels Spielgefährtin erkoren worden war. Fünf Jahre, die ihr zwar eine weitaus bessere Versorgung, als sie es je gewohnt gewesen war, beschert hatten. Aber andererseits auch fünf Jahre voller widerstreitender Erfahrungen und dem bedrängenden Gefühl, nicht wirklich gelitten zu sein. Allein von Isobel de Burghs Wohlwollen hing es ab, ob sie hier auf Whitefell leben durfte oder nicht. Das Gesinde betrachtete sie mit neidischem Misstrauen und sie konnte es ihm nicht verdenken. Was war sie denn auch in den Augen der Hausangestellten? Sie gehörte nicht zum Personal, denn sie hatte keine wirkliche Aufgabe im Haus, so wie die anderen Dienstmädchen, die sich ihren Lohn wirklich nicht leicht verdienten. Deren Tag begann schon vor dem ersten Hahnenschrei mit Feuermachen, Putzen, Waschen und Küchenarbeit. Cathy musste sich nicht mühen wie diese. Sie stand erst später auf, kurz bevor Isobel zu erwachen pflegte. Isobel hatte angeordnet, dass sie ihr Frühstück etwa zur gleichen Zeit wie sie selbst einzunehmen habe, um ihr dann anschließend umgehend zur Verfügung stehen zu können. Natürlich war es ihr nicht gestattet worden, mit Isobel, deren Vater und Miss Hunter zu speisen. Sie pflegte dann in die Küche zu gehen, um sich etwas von den Resten des Gesindefrühstücks zu nehmen. Dass die Küchenmägde sie bei ihren dreimal täglichen Gängen zur Küche – zum Lunch und zum Dinner hatte sie es ebenso zu halten, lediglich den Tee nahm sie mit Isobel und Miss Hunter im Damensalon ein – misstrauisch beäugten und ihr ihre Sonderstellung missgönnten, konnte sie gut verstehen, aber nicht ändern.
Ihre Aufgabe – und das war dem Gesinde nicht zu vermitteln – war indes weitaus schwieriger zu bewerkstelligen als die der Hausangestellten. In der ersten Zeit war es ihr auch ungeheuer schwergefallen, sich in der ihr völlig fremden Welt unter den missbilligenden Blicken von Miss Hunter zurechtzufinden. Aber die Gouvernante hatte schließlich anerkennen müssen, dass sie lernwillig war und sich bemühte, die an sie gestellten Anforderungen hinsichtlich ihres Benehmens sowie äußerster Zurückhaltung und Bescheidenheit, die ihr in ihrer seltsam unsicheren Stellung wohl anstanden, zu deren Zufriedenheit zu erfüllen. Außerdem schien ihre Anwesenheit das unerträglich gereizte Verhältnis zwischen der Gouvernante und ihrem eigenwilligen Zögling durchaus zu entspannen. Isobel gefiel sich in den ersten Monaten darin, vor Cathy Wohlerzogenheit zu demonstrieren, damit ihre Spielgefährtin dies staunend anerkennen und eventuell, wenn auch nicht zu sehr, ebenfalls erlernen konnte. Sie war darin weitaus pedantischer, als es Miss Hunter wohl je hätte sein können. So übte sie einmal einen vollen Nachmittag lang mit Cathy einen formvollendeten Knicks, bis dieser die Knie so sehr schmerzten, dass sie kaum mehr stehen konnte. Erst der obligatorische Ruf zum Dinner erlöste Cathy von der Tortur.
Miss Hunter stellte zu solchen Anlässen bisweilen zufrieden fest, dass ihre Bemühungen bei Isobel de Burgh wider Erwarten doch auf fruchtbaren Boden gefallen waren, obwohl Cathy über die Jahre mehr und mehr bezweifelte, dass es Miss Hunter gelungen war, den wilden, herrischen Geist Isobel de Burghs zu bändigen. Deren Erziehung hatte zu nicht mehr als einer brüchigen Fassade von Wohlverhalten geführt, aber
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