Die dritte Sünde (German Edition)
Tage hier im Herrenhaus bleiben könne, damit sie sich richtig kennenlernen könnten. Sie könnte ja oben in einer der Mansardenkammern, in denen vor der Errichtung des neuen Gesindetrakts früher die Zimmermädchen geschlafen hätten, eine Bettstatt beziehen und würde dort sicher niemand stören.
Mr de Burgh, der anfangs noch schwache Einwände dagegen vorbrachte, dass Isobel sich mit einem Kind von so niedriger Herkunft umgeben wollte, wurde von seiner Tochter nachdrücklich darüber belehrt, dass es ja niemand in der ganzen Umgebung von Stand gebe, mit dem sie sich abgeben könne, und ihr Vater wolle doch sicher nicht, dass seine einzige Tochter vor Langeweile und Einsamkeit vergehe. An dieser Stelle der Verhandlung hatte Isobel sogar ihre schärfste Waffe – ein paar zierliche Tränen aus hellblauen Augen – eingesetzt, die ihren Vater bisher noch jedes Mal dazu gebracht hatte, ihr auch den unsinnigsten Wunsch zu erfüllen. So war es auch diesmal.
Mr de Burgh überging Miss Hunters überdeutlich geäußertes Seufzen und Räuspern geflissentlich und gewährte seiner Isobel die Bitte, Cathy als Spielgefährtin zu halten. Er erlaubte ihr sogar, diese neu einzukleiden, sofern Isobel dabei die Standesgrenzen wahre, und betraute die vor Empörung kalkweiß gewordene Miss Hunter mit der Aufgabe, Cathy beim Unterricht zu dulden und unter Umständen sogar zu unterrichten, da seine Tochter dann, so hatte Isobel wortreich versichert, sicher viel besser und schneller lernen würde.
Auf die Idee, Cathy nach ihrer Meinung zu fragen, kam natürlich keiner der Anwesenden. Diese saß wie ein Häufchen Elend auf ihrem zierlichen Sitzmöbel und wagte kaum zu atmen. Allein die Präsenz des Herrn von Whitefell, den sie bisher nur zwei Mal – und da auch nur aus sicherer Entfernung – gesehen hatte, ließ sie erzittern. Noch mehr aber erschütterte sie die Aussicht, in Zukunft hier auf Whitefell zu wohnen und Miss Isobels Spielgefährtin abgeben zu müssen. Das war atemberaubend, gleichwohl machte es ihr eine unerträgliche Angst. Die Aussicht, als Magd ihr Glück zu versuchen, schien ihr mit einem Mal weitaus verlockender. Denn das war, trotz aller Unwägbarkeiten und der berechtigten Sorge, keine Arbeit zu finden und vielleicht zugrunde zu gehen, doch eine Welt, in der sie sich zumindest auskannte. Als Mitglied des Haushaltes von Whitefell aber drohten ihr so viel Unvorhergesehenes und Unbekanntes, dass sie sich bis ins Mark davor fürchtete.
Doch es half nichts. Sie wurde nicht gefragt. Stattdessen stand Mr de Burgh schließlich auf, strich ihr einmal flüchtig und nicht unfreundlich über den Kopf und meinte dann zu seiner Tochter, er hoffe, sie werde ihres neuen Spielzeugs nicht schon bald überdrüssig.
Cathy, die nicht ganz verstand, was er mit diesen Worten meinte, spürte doch, dass eine gewisse Kränkung darin vorborgen war. Doch sie war zu durcheinander, um sich weiter darüber Gedanken zu machen.
Wie immer waren Miss Hunters scharf geäußerte Einwände völlig nutzlos. Isobel bewaffnete sich mit einer Kerze, nahm ihre frischgebackene zukünftige Spielgefährtin bei der Hand und zerrte sie kurzerhand die Treppe hinauf in die Mansardenverhaue unter dem Dach. Cathy ließ es willenlos geschehen. Dort angekommen wurde sie angewiesen, sich in den staubbedeckten, verlassenen Verschlägen eine Schlafstatt zu suchen. Wenn sie noch Hunger habe, könne sie in die Küche hinuntergehen, das sei sicher kein Problem, meinte ihre neue Herrin noch und eilte dann mit der Kerze in der Hand zurück, da die ärgerlichen Rufe von Miss Hunter, die die Treppe hinaufdrangen, nun doch recht bedrohlich klangen.
Cathy hatte keinen Hunger. Sie blieb allein im Dunkeln auf der verstaubten Bettstatt sitzen, zu erschrocken und verwirrt, um sich noch rühren zu können. Ihre Gedanken überschlugen sich, zu viel war in der letzten Zeit auf sie eingestürmt und hatte sie wie einen Kiesel im tosenden Frühlingsschmelzwasser des Baches, der die Felder Whitefells durchschnitt, umhergestoßen. Schließlich presste sie die Hände gegen ihre Schläfen, die unerträglich zu schmerzen begonnen hatten, und legte sich auf die fremde Schlafstatt, um sogleich in einen traumlosen Schlaf zu sinken.
Whitefell House, Wiltshire, März 1838
Kapitel 10
Cathy klappte das kleine Schreibbüchlein zu, dessen letzte Seite sie eben mit eng geschriebenen Zeilen gefüllt hatte. Sie würde Miss Hunter wieder um ein neues Büchlein bitten müssen und hoffte, dass ihr
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