Die dritte Sünde (German Edition)
Kleider vom Leib gerissen und sie war ganz nackt vor ihm und dann hat er …« Isobel kicherte aufgeregt.
»Ich glaube nicht, dass es so angenehm ist, wenn einem jemand auf diese Weise Gewalt antut«, meinte Cathy lapidar dazu. Sie wunderte sich über die Faszination, die solche einfach gestrickten Begebenheiten auf Isobels Vorstellungskraft ausübten, denn Isobel war alles andere als dumm. Sie hätte ihr eigentlich einen feineren Geschmack zugetraut. Aber vermutlich waren es nicht die Abenteuer und Gefahren, die Isobel reizten, sondern die ausführlichen Schilderungen der amourösen Situationen, die sich daraus ergaben. Isobel sehnte sich nach nichts mehr, als endlich von der Gesellschaft und vor allem von deren männlichem Teil wahrgenommen zu werden. All ihre Gedanken und Gespräche kreisten darum. Und auch Cathy sehnte diesen Augenblick auf gewisse Weise herbei. Miss Hunters Zeit näherte sich jedenfalls unaufhaltsam dem Ende. Sobald ihr Schützling offiziell in die Gesellschaft eingeführt worden war, würde sie sich zu einer Verwandten begeben und mit ihren nunmehr achtundfünfzig Jahren, von denen sie siebenunddreißig als Gouvernante verbracht hatte, zur Ruhe setzen. Es war nicht zu übersehen, dass auch Miss Hunter, müde geworden im täglichen Scharmützel mit Isobel, sich mindestens ebenso danach verzehrte wie ihr Schützling. Auch für Cathy würde sich dann alles ändern. Eine Spielgefährtin brauchte Isobel dann bestimmt nicht mehr. Sie hatte nicht die leiseste Idee, wie ihr Leben sich dann weiterentwickeln würde. Zu ihrer Familie konnte sie nicht zurück und die Aussicht, wieder in ihr bäuerliches Leben zurückzukehren, war ihr nun fremd geworden. Sie war dieser Welt so sehr entwachsen, wie ihr früher die Welt der Herrschaft fremd gewesen war. Am besten, sie versuchte in Wilton House im Haushalt des Earls of Branford oder vielleicht in London bei anderen Verwandten der de Burghs, wo keiner sie und ihre seltsame Stellung auf Whitefell kannte, eine Anstellung als Dienstmagd zu bekommen. Sie hoffte, dass Mr de Burgh so gnädig wäre, ihr dazu zu verhelfen. Das wäre sicher die beste Lösung, und Cathy freute sich darauf, endlich ihr Brot wie andere Mädchen auch selbst verdienen zu können.
Isobel, verärgert darüber, dass Cathy sich wieder einmal nicht mit der gebührenden Begeisterung auf ihr Lieblingsthema einlassen wollte, war zum Fenster getreten und schob die zarten Volants, die das strahlende Frühlingssonnenlicht in einen weicheren Glanz brachen, zur Seite. Da entdeckte sie plötzlich etwas, das ihre ganze Aufmerksamkeit gefangen nahm. Fasziniert beugte sie sich nach vorne, um ihre Entdeckung näher in Augenschein zu nehmen. Cathy, die sofort bemerkt hatte, dass es draußen wohl etwas Außergewöhnliches zu sehen gab, kam folgsam näher, als Isobel sie aufgeregt zu sich winkte.
»Siehst du ihn?«, fragte sie. Ihre Stimme drückte atemlose Verwunderung aus.
»Wen? Mr Havisham?«, erwiderte Cathy, wohl wissend, dass Isobel keineswegs den Geschäftsfreund ihres Vaters meinte, der soeben in den Hof geritten war. Dieser war hin und wieder auf Whitefell zu Gast. Ein stattlicher, gut aussehender Mann in mittleren Jahren mit einem störrisch gekräuselten blonden Backenbart und einer gewissen beginnenden Rundlichkeit um die Taille, die er aber geschickt unter exzellent geschnittener Kleidung und einem eng geschnürten Taillengürtel zu verbergen wusste. Mr Havisham war durchaus ein wenig eitel.
Isobel bedachte Cathy erwartungsgemäß mit einem mitleidigen Blick. »Nein, natürlich nicht!« Sie deutete mit dem Zeigefinger nach unten. »Da, der junge Mann, der gerade das Pferd von Mr Havisham übernimmt. Hast du ihn schon einmal hier gesehen?«
Cathy schüttelte den Kopf. Den hatte sie tatsächlich noch nie hier gesehen, er musste erst seit wenigen Tagen auf Whitefell tätig sein.
»Mein Gott, was für ein hübscher Kerl!«, seufzte Isobel hingerissen und Cathy musste zugeben, dass sie recht hatte. Obwohl sie seine Gesichtszüge aus der Entfernung nicht in allen Einzelheiten erkennen konnte, sah sie doch, dass er ein fein geschnittenes und doch markantes Gesicht hatte, umrahmt von halblangen, dunklen, wellig fallenden Haaren, die er jetzt mit einer kleinen Bewegung des Kopfes zur Seite warf, als sie ihm in die Augen fielen. Die Art, wie er, das etwas nervöse Reitpferd von Mr Havisham am Zügel führend, über den Hof in Richtung der Stallungen davonging, wirkte zugleich kraftvoll und
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