Die dritte Sünde (German Edition)
oder gar Beeren, an denen sie sich hätte sättigen können und sich Wegzehrung von zu Hause mitzunehmen, hatte sie nicht gewagt.
Hungrig machte sie sich über die Scones und den Kuchen her. Aber das hätte sie lieber bleiben lassen sollen, da Miss Isobel laut auflachte, während Miss Hunter ein schockiertes Schnauben hören ließ.
»Du hast ja richtig Hunger, Cathy«, meinte Miss Isobel, nachdem sie sich gefasst hatte.
»Ich hatte heute noch nichts zu essen. Entschuldigung!«, murmelte Cathy verlegen.
»Noch nichts zu essen?« Miss Isobel staunte ehrlich. »Aber das ist ja furchtbar. Gibt euch euer Vater denn nichts zu essen?«
»Doch sicher, es ist nur …«, plötzlich kullerten wieder dicke Tränen über Cathys Wangen. Der Schmerz darüber, zu Hause bei ihrer Familie nicht mehr gelitten zu sein, bohrte sich erneut durch ihre Brust. Verzweifelt bemühte sie sich darum, die Tränen zurückzudrängen, aber es wollte ihr nicht gelingen. Je mehr sie sich dazu zwang, desto mehr drängte das Schluchzen aus ihr heraus.
Miss Hunter, die alles andere als erfreut über diesen Gefühlsausbruch des ihr ohnehin lästigen Gastes war, stand ungehalten auf. »Ich denke, es ist besser, das Kind verlässt uns jetzt, Miss de Burgh. Sie sehen ja selbst, dass die Situation sie überfordert. Dieses Geplärre ist wirklich eine Zumutung!«
Isobel hörte wie üblich nicht auf sie. Sie nahm durchaus mitfühlend Cathys Hand und fragte beharrlich nach der Ursache des Tränenstroms. Cathy, die nicht wagte, ihr die ganze Wahrheit zu berichten, erklärte schließlich, dass ihr Vater sie von zu Hause fortgeschickt habe, damit sie sich Arbeit suche. Das entsprach ja durchaus der Wahrheit, wenn sie auch den Grund dafür vor Isobel verbarg. Sie spürte instinktiv, dass sie das unbedingt vermeiden musste. Schon jetzt zeigte Isobel Anzeichen von Unverständnis für Wycliff Thomson und seine Entscheidung, die nur zu leicht zu unbedachten Äußerungen gegenüber Mr de Burgh führen konnten. Die fatalen Folgen wollte sie nicht riskieren. Cathy brachte deshalb mit einem Übermaß an Kraftaufwand endlich erfolgreich ihre Tränen zum Versiegen. Sie schluckte noch ein paar Mal und meinte dann: »Es ist schon recht so. Ich werde mich morgen auf den Weg nach Salisbury machen. Mein Vater meint, da gebe es vielleicht Arbeit für mich. Vater nimmt sich eine Witwe als Magd, da braucht er mich nicht mehr.« Ein letztes unterdrücktes Aufschluchzen begleitete diesen Satz. Dann gelang es Cathy endlich, wieder ein gleichmütiges Gesicht aufzusetzen.
»Nach Salisbury?«, schrie Isobel empört auf. »Aber das sind doch mindestens zwanzig Meilen bis dorthin. Das kannst du doch nicht an einem Tag schaffen und das zu Fuß und ganz allein. Wie kann dein Vater so etwas von dir verlangen?« Zornig legte sie ihre Stirn in Falten. »Das kommt auf keinen Fall infrage! Ich, Isobel de Burgh, verbiete diesen Unsinn.« Sie sprang auf. Cathy war entsetzt. Genau diese Entwicklung hatte sie doch unbedingt vermeiden wollen.
»Warum sollst du überhaupt fortgehen? Dann können wir uns ja gar nicht mehr sehen!«
Isobel sah ihren Plan in Gefahr. Cathy durfte Whitefell auf keinen Fall verlassen. Dafür musste sie sorgen. Glücklicherweise geschah nun das, worauf sie den ganzen Tag spekuliert hatte. Die Tür zum Salon öffnete sich und ihr Vater, Herr auf Whitefell, trat ein, um ein Stündchen mit seiner über alles geliebten Tochter zu verbringen.
Miss Hunter erstarrte. Sie, die Isobels Tücke zur Genüge kannte, ahnte nun, was folgen musste. Miss de Burgh hatte sich dieses Mädchen als Spiel- und Hausgenossin auserkoren und sie würde ihrem Vater diesen Wunsch nun – nachdem Cathy ohnehin bei sich zu Hause nicht mehr gebraucht wurde – umso leichter aus dem Bart kitzeln. Ob Thomson und dieses kleine gerissene Menschenkind darauf spekuliert hatten? Gut möglich! Dann allerdings musste sie dieses erbärmliche Geschöpf in Zukunft unter verschärfter Beobachtung halten. Es war ihr klar, dass ihr die Qual nicht erspart bleiben würde, ihre Fähigkeiten auch an diese unwürdige Kreatur verschwenden zu müssen.
Miss Hunter sollte recht behalten. Mr de Burgh, Wachs in den Händen seines hübschen Töchterchens, billigte deren unsinnigen Wunsch, Cathy bei sich zu behalten. Es sei ja doch, meinte Isobel, einfach eine Untat, Cathy allein so weit fortzuschicken und sie, Isobel, habe sich doch so darauf gefreut, öfter mit Cathy spielen zu können, ja, sogar gehofft, dass diese einige
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