Die dritte Sünde (German Edition)
und befehlsgewohnt wie sie war, den Ernst der Situation verstanden und schickte die maulende Emily mit dem Gewünschten hinauf zu Mrs Branagh. Ein drohender Blick der Köchin ließ die unwillige Magd augenblicklich verstummen und sich sputen. »Martha Pole!«, erinnerte Aaron die Köchin in einem drängenden Ton, als Emily verschwunden war. »Mrs Branagh trug mir auf, dass man Martha Pole benachrichtigen solle.«
»Ja, das ist wahrscheinlich das Beste«, stimmte Mrs Reed nachdenklich zu. »Wenn es der jungen Thomson wirklich so schlecht geht, wie du sagst, dann ist es wohl sicherer, Martha Pole um Rat zu bitten. Sie ist die kräuterkundige Frau hier in der Gegend und recht versiert. Ich habe auch schon manche Empfehlung von ihr übernommen. Sie versteht wirklich etwas von Kräutern. Außerdem ist sie längst nicht so teuer wie der Arzt aus Wilton, den kann sich ja unsereins nicht leisten. Der ist nur etwas für die feinen Herrschaften.«
»Und wo kann ich diese Martha Pole finden?«, fragte Aaron ungeduldig.
»Du willst sie selbst holen?« Mrs Reed sah ihn überrascht an. »Du kennst dich doch in der Gegend noch nicht richtig aus. Einer von den anderen Knechten kann doch ebenso gut gehen.«
»Nein, Mrs Reed«, brachte Aaron mit vor Anspannung gepresster Stimme hervor, »ich möchte gerne helfen. Ich … es dauert mich eben, dass Cathy so krank ist.«
Erstaunt sah ihn die Köchin an: »Na, du magst sie wohl wirklich, die kleine Thomson«, sagte sie in ihrer direkten Art, »aber ich fürchte, an der wird sich selbst ein so hübscher Kerl wie du die Zähne ausbeißen. Die lässt niemanden an sich heran. Ist verschlossen wie eine Auster. Die Mädchen können sie wohl deshalb nicht ausstehen. Allerdings sind die auch nicht gerade freundlich zu ihr und in der letzten Zeit haben sie es wirklich zu bunt getrieben. Daran ist aber nur diese Ruby schuld, die hat täglich die Zunge über sie gewetzt. Zum Schluss ist Cathy gar nicht mehr heruntergekommen zum Essen. Wer weiß, von was die sich ernährt hat in den letzten Tagen. Kein Wunder, dass sie jetzt krank ist.«
»Mrs Reed, bitte, wo finde ich denn nun diese Martha Pole?«
Die Köchin beschrieb ihm den Weg. Aaron rannte umgehend davon, doch als er die Türklinke ergriff, rief sie ihn noch einmal zurück: »Aber frag sie, was es kosten wird! Cathy bekommt, soweit ich weiß, keinen Lohn hier und die de Burghs reisen morgen ab. Ich weiß nicht, wer die Kosten übernehmen wird.« Aaron nickte knapp und eilte dann hinaus. Das Pferd stand noch angeschirrt im Arbeitshof von Whitefell. Damit würde es schneller gehen. Er schwang sich auf den Kutschbock und trieb das grobknochige Tier zu ungewohnter Eile an.
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Es überraschte Martha Pole nicht, dass sie nach Whitefell zu einem Krankheitsfall unter den Bediensteten gerufen wurde, dergleichen kam öfter vor. Aber es überraschte sie, wie auffällig besorgt der hübsche junge Mann, der ihr völlig unbekannt war und sich doch als Stallknecht aus Whitefell vorstellte, um ihre Hilfe bat, und noch überraschter war sie, als sie hörte, um wen es sich bei dem Krankheitsfall handelte.
Sie hatte Cathy Thomson seit Jahren nicht mehr im Gottesdienst im Dorf gesehen. Der Pfarrer pflegte nach dem Hauptgottesdienst in der Gemeinde in der Regel noch einen Privatgottesdienst in der kleinen Kapelle von Whitefell für die Herrschaft und einen Teil der Dienerschaft abzuhalten. Die verstorbene Mrs de Burgh hatte diese Gewohnheit eingeführt, weil ihr die Dorfkirche zu bäuerlich schien, und so war es auch nach ihrem Tod geblieben. Der neue Pfarrer – Martha nannte ihn immer noch so, weil sie sich einfach nicht an diesen Schwätzer gewöhnen wollte – hatte die Regelung widerspruchslos übernommen. Die übrigen Angestellten Whitefells, besonders diejenigen, die Verwandtschaft in der näheren Umgebung hatten, kamen aber am Sonntag ins Dorf. Cathy Thomson war nie unter ihnen gewesen, obwohl Mr Thomson mit seiner neuen Frau und den drei Kindern, darunter dem bedauernswerten Rotschopf Billie, eigentlich jeden Sonntag in die Kirche kam. Sie hatte angenommen, dass das Mädchen damals von ihrem unversöhnlichen und hartgesichtigen Vater fortgeschickt worden war. Umso erstaunter war sie jetzt zu hören, dass Cathy Thomson seit Jahren auf Whitefell lebte, aber selten einen Fuß vor die Tür setzen konnte. Diese war ihr, wenn sie hin und wieder nach Whitefell gekommen war, nie begegnet, und es wurde auch nie über sie gesprochen. Was wohl mit ihr
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