Die dritte Todsuende
dem Bett und sah sich voller Entsetzen an.
Bisher hatte sie gar nicht recht bemerkt, wie stark sie abgenommen hatte. Ihre Hüftknochen stachen hervor, spannten weiße, durchsichtige Haut. Ihre Brüste hingen flach zur Seite, die Warzen geschrumpft. Weiter unten konnte sie ein kleines Büschel matter Haare sehen, knochige Knie und lächerlich lange, gekrümmte Zehen: die Klauen eines Tieres. Als sie an ihrem Arm roch, bemerkte sie einen leichten Aschegeruch.
Der Tag wurde zu einem Traum, nein, zu einem Schauspiel, bei dem sie gleichzeitig Schauspielerin und Zuschauerin war. Sie war innerhalb und außerhalb. Sie beobachtete sich selbst voller Verwunderung, wie sie sich zu resoluten Bewegungen zwang und ihr Fleisch bändigte. Sie hätte dieser kraftvollen, entschlossenen Frau Beifall spenden mögen.
Das mexikanische Hochzeitskleid erwies sich als Katastrophe; sie wußte, so konnte sie unmöglich gehen. Schlaff und in Falten hing es von ihrem eingefallenen Körper. Sie legte es beiseite und zog einen Florgarnpullover, einen Jeansrock und Stiefel mit flachen Absätzen an. Als sie sich im Spiegel begutachtete, sah sie eine blasse, furchtsame und verletzliche Frau. Mit einem geschliffenen Messer in der Tasche.
Die Cocktail-Lounge auf dem Dach des Tribunal war ringsum von großen Töpfen mit natürlichem Grün begrenzt. Das von unten angestrahlte Wasser des Swimmingpools leuchtete in phosphoreszierendem Blau. Eine mit goldenen Gänseblümchen verzierte Markise war über die Tische gespannt.
Ein paar späte Schwimmer planschten im Wasser herum. Von einer Hi-Fi-Anlage hinter der Bar kam einschmeichelnde, nostalgische Musik, dünn wie Lametta.
Ein schläfriger Kellner bewegte sich langsam zwischen den Tischen hin und her. Eis klirrte in hohen Gläsern. Gemurmel erfüllte die Luft, plötzlich unterbrochen von hellem Gelächter. Weiße Gesichter in der Dämmerung. Nackte Arme.
Die Nacht schien aus sich selbst heraus zu leuchten. Der Glanz der Sterne war gedämpft vom Glühen der Stadt. Eine leichte Brise streichelte die Haut. Die Dunkelheit öffnete sich und verschlang alles und jeden, verlieh der Einsamkeit eine bittere Süße und Schweigen den Charakter eines Segens.
Zoe Kohler saß ruhig im Schatten und hielt sich für unsichtbar. Sie war sich der Schwimmer im Pool, der Paare an den Tischen im Freien kaum bewußt. Vage dachte sie, daß sie bald, bald nach unten in die belebte Bar gehen würde.
Aber sie fühlte sich so ruhig, so träge, daß sie keiner Bewegung fähig war. Eingehüllt in den Nebel der Genesung trieb ihr Körper dahin, durchflutet von flüssiger Wärme. Alle Schmerzen waren dahingeschmolzen und mit ihnen der Aufruhr ihres Körpers und der kummergeplagten Seele.
Außer Zoe und den Paaren befanden sich noch zwei einzelne Männer auf der Terrasse. Einer von ihnen, der ältere, schien sich mit verzweifelter Entschlossenheit zu betrinken. Der andere hatte schulterlanges Haar, einen dünnen Bart und schien kaum alt genug, um Alkohol trinken zu dürfen. Er hielt sich an Flaschenbier, das er so langsam trank, als sollte jedes Glas den ganzen Abend reichen.
Dann stand er plötzlich auf. Die Füße des Metallstuhls verursachten ein schrilles Geräusch auf dem Fliesenboden. Alles blickte auf. Von der allgemeinen Aufmerksamkeit verwirrt blieb der Junge einen Moment stehen und beschäftigte sich mit seinem Glas und der Bierflasche, bis sich niemand mehr um ihn kümmerte.
Er ging direkt auf Zoes Tisch zu.
»Entschuldigen Sie, Ma'am«, sagte er leise. »Darf ich Sie zu einem Drink einladen? Bitte.«
Zoe verdrehte ihren Hals und versuchte, ihn im Dämmerlicht zu erkennen. Er war sehr groß und dünn. Er trug ein Tweedjackett, das ihm zu groß war, saubere Cordjeans und Wildlederstiefel.
Aus den Ärmeln des schweren Jacketts schauten dünne Handgelenke hervor, und der große Kopf schien auf einem schilfrohrdünnen Hals zu balancieren. Sein Lächeln war erwartungsvoll. Das lange blonde Haar und der dünne Bart wiesen sonnengebleichte Strähnen auf. Er wirkte vollkommen harmlos.
»Setzen Sie sich«, sagte sie sanft. »Aber seine Drinks bezahlt jeder selbst.«
»Danke«, sagte er.
Sein Name war Chet LaBranche, und er stammte aus Waterville, Maine. Aber er lebte und arbeitete in Vermont als Assistent der Präsidentin der Barre Academy, die sich Akademie nannte, tatsächlich aber eine voll anerkannte Kunsthochschule mit 437 Studenten war.
»Eigentlich habe ich hier gar nichts zu suchen«, sagte er mit einem
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