Die dritte Todsuende
fröhlichen Lachen, »aber der verantwortliche Bursche bekam plötzlich Grippe oder etwas Ähnliches, und wir hatten die Reservierung und alles schon bezahlt, also hat mich Mrs. Bixby — das ist unsere Präsidentin — gefragt, ob ich nicht statt seiner fahren wollte, und ich habe die Gelegenheit natürlich beim Schopf gepackt. Ich bin zum erstenmal hier in der großen Stadt und finde alles furchtbar aufregend.«
»Amüsieren Sie sich gut?« fragte Zoe mit einem Lächeln.
»Tja, ich bin erst seit heute morgen hier, und den Tag über hatten wir eine Konferenz nach der anderen, deshalb hatte ich noch nicht viel Gelegenheit, mich umzusehen, aber es ist ganz schön groß und laut und dreckig, oder?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Aber morgen und Mittwoch haben wir mehr Zeit für uns, und dann möchte ich mich ein wenig umsehen. Haben Sie eine Idee, was ich mir anschauen soll?«
»Alles«, sagte sie.
»Ja«, sagte er und nickte heftig, »alles. Genau das habe ich auch vor. Und wenn ich die ganze Nacht aufbleiben muß. Wer weiß, wann ich das nächste Mal eine solche Chance kriege. Ich möchte den Brunnen sehen, in den Zelda Fitzgerald gesprungen ist, und all die Bars in Greenwich Village, wo Jack Kerouac immer gesoffen hat.«
»Wohnen Sie hier im Hotel?« fragte Zoe beiläufig.
»Allerdings, Ma'am. Das ist im Preis inbegriffen. Ich habe ein hübsches Zimmer im fünften Stock bekommen, direkt unter diesem. Groß und sauber.«
»Wie alt sind Sie eigentlich, Chet?«
»Ich werde bald fünfundzwanzig«, sagte er und zog den Kopf ein. »Ich habe Sie gar nicht nach Ihrem Namen gefragt, Ma'am, aber Sie brauchen ihn mir nicht zu sagen, wenn Sie nicht wollen.«
»Irene«, sagte sie.
Alles schien ihn mit Begeisterung zu erfüllen. Es war nicht das Bier; es war sein Wesen. Er plauderte vor sich hin und brachte sie immer wieder mit seinen Beschreibungen zum Lachen, egal, ob es sich um das Leben an der Barre Academy handelte oder seine Erfahrungen mit New Yorker Taxifahrern.
Sie genoß seine Jugend, sein Vitalität und seinen Optimismus. Er war noch nicht verdorben, sondern voller Zutrauen. Die Zukunft lag noch vor ihm, eine glitzernde Welt voller Überraschungen. Er würde Professor für Englische Literatur werden. Er würde überallhin reisen. Er würde ein Haus besitzen, eine Familie gründen.
Er überschlug sich fast in seinem Bemühen, alles hervorzusprudeln, einen Eindruck von der überwältigenden Energie zu geben, die ihn erfüllte. Seine langen Hände schrieben große Gesten in die Abendluft. Er krümmte sich vor Lachen über seine eigenen großen Träume, glaubte aber an jeden einzelnen davon.
Zoe trank drei weitere Gläser Weißwein, und Chet bestellte noch zwei Flaschen Bier. Sie lauschte ihm, lächelte und nickte. Dann waren die Schwimmer plötzlich verschwunden, das Licht im Pool erlosch.
Die Tische hatten sich geleert; sie waren die letzten. Der schläfrige Kellner erschien mit ihrer Rechnung.
»Chet, ich würde gern diese Liste sehen, die sie sich gemacht haben«, sagte Zoe. »Vielleicht kann ich Ihnen noch ein paar Vorschläge machen.«
»Sicher«, sagte er sofort. »Tolle Idee. Wir brauchen gar nicht auf den Fahrstuhl zu warten. Wir können zu Fuß gehen, es ist nur ein Stockwerk.«
»Gut«, sagte sie.
Sie trug ihr Glas, er seine Flasche und das Bierglas. Wie er gesagt hatte, war sein Zimmer groß, sauber und sehr hübsch. Stolz zeigte er ihr den Stapel flauschiger Handtücher, die verpackte Seife, die sauberen Gläser und den Eisbehälter aus Plastik.
»Und zwei Betten!« kicherte er und hüpfte auf einem davon auf und nieder. »Ich hätte nie gedacht, daß ich ein Zimmer mit zwei Betten kriegen würde! Ich könnte abwechselnd im rechten und im linken schlafen. So ein Luxus! Wo habe ich denn nur diese Liste?«
Sie saßen nebeneinander auf dem Bett und besprachen seine geplante Besichtigungstour. Nicht ein einziges Mal berührte er sie, sagte irgend etwas auch nur schwach Doppeldeutiges oder gab ihr sonst einen Grund zu der Annahme, er könnte etwas anderes sein als das, was er zu sein schien: unschuldig.
Sie wandte sich ihm plötzlich zu und gab ihm einen Kuß auf die Wange.
»Ich mag Sie«, sagte sie. »Sie sind nett.«
Er starrte sie verwirrt an, die Augen geweitet. Dann sprang er auf, ein krampfartiger Satz.
»Ja, nun…« sagte er stotternd. »Ich danke Ihnen. Ich habe Sie wahrscheinlich gelangweilt, nicht wahr? Ich meine, ich habe den ganzen Abend nur über mich geredet. Lieber Gott,
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