Die dritte Todsuende
versichere ich Ihnen.«
»Ich will es aber«, hatte sie dickköpfig beharrt, und er hatte klein beigegeben.
Er war Mitte Sechzig und sah aus wie ein kleiner, plumper Teddybär. Ein enormer weißer Haarkranz krönte seinen kugelrunden Kopf wie ein zottiger Heiligenschein. Seine Hände waren groß und kräftig, die Finger mit schwarzen Härchen bedeckt. Er trug Pantinen und weiße Baumwollsocken und rauchte eine Zigarre nach der anderen, es sei denn, ein Patient beklagte sich darüber.
Er hatte hellblaue Augen, und Zoe Kohler mochte ihn. Ein lieber alter Mann, der sie weder ängstigte noch einschüchterte. Sie hatte das Gefühl, ihm alles erzählen zu können, alles, ohne daß er schockiert, verärgert oder angeekelt wäre.
An jenem ersten Dienstag im April traf Zoe ein paar Minuten vor ihrem Termin in Dr. Starks Praxis ein. Erfreulicherweise befanden sich nur zwei andere Patienten im Warteraum. Zoe meldete sich bei der Empfangsdame an und zog sich dann mit einem alten Exemplar eines Architekturmagazins in eine Ecke zurück. Erst um zehn vor sieben betrat Gladys, die leitende Sprechstundenhilfe, das Wartezimmer und bedachte Zoe mit dem herzlichsten Lächeln, dessen sie fähig war.
»Der Doktor erwartet Sie«, sagte sie.
Wenig später saß Zoe in Dr. Starks Büro, sah zu, wie er sich eine neue Zigarre anzündete und den Rauch mit einem Handwedeln vertrieb.
Er betrachtete sie freundlich über den Rand seiner Halbglasbrille. »So«, sagte er. »Wie geht es uns denn?«
»Gut«, sagte Zoe.
»Regelmäßiger Stuhlgang?«
Sie nickte und senkte die Augen.
»Wie steht's mit dem Essen?«
»Ich esse ordentlich«, sagte sie.
Er blickte in die aufgeschlagene Mappe auf dem Schreibtisch. »Sie nehmen Vitamine«, bemerkte er. »Was für welche?«
»Fast alle«, sagte sie. »A, B, C, E und einige Mineralstoffe.«
»Welche?«
»Eisen, Zink, Magnesium.«
»Und? Was für Pillen noch?«
»Meine Antibabypille«, sagte sie. »Die Medizin fürs Blut. Cholin. Alfalfa. Lezithin und Seegras.«
»Was noch?«
»Gelegentlich ein Librium. Midol, Anazin. Hin und wieder etwas gegen meine Krämpfe. Ein Tuinal, wenn ich nicht schlafen kann.«
Er blickte sie an und seufzte. »Du meine Güte«, sagte er, »was für ein Durcheinander. Glauben Sie mir, Zoe, wenn Sie sich eine vernünftige Diät zusammenstellen und daran halten würden, wären all diese Vitamine und Mineralien und so weiter überhaupt nicht notwendig.«
»Wer hält sich heute schon an eine vernünftige Diät?« fragte Zoe herausfordernd.
»Was ist mit dem Cholin? Warum Cholin?«
»Ich habe irgendwo gelesen, daß es gut gegen vorzeitige Senilität sein soll.«
Stark lehnte sich zurück und lachte schallend, wobei große gelbe Zähne sichtbar wurden.
»Eine junge Frau wie Sie«, sagte er schließlich, »macht sich Sorgen über Seniilität. Ich sollte mir darüber Sorgen machen, aber nicht Sie. Versuchen Sie, weniger Pillen zu nehmen, einverstanden?«
»Einverstanden.«
»Versprochen?«
Sie nickte.
Im Untersuchungsraum zog sie ihre Kleider aus und hängte sie auf Plastikbügel. Dann hüllte sie sich in ein Tuch. Gladys kam herein, in der Hand ein Untersuchungsformular.
Zoe stieg auf die Waage. Gladys bewegte die Gewichte vor und zurück.
»Achtundfünfzig«, verkündete sie. »Wie machen Sie das bloß? Eins von meinen Beinen wiegt schon so viel. Ziehen Sie besser Ihre Schuhe an, meine Liebe. Der Boden ist kalt.«
Dr. Stark kam wenig später herein. Sorgfältig plazierte er seine Zigarre in einer Schale. Zoe saß auf einem Drehstuhl aus weißemailliertem Stahl. Der Arzt saß ihr gegenüber, ebenfalls auf einem Drehstuhl. Seine Fleischmassen quollen über den Rand des winzigen Sitzes.
»Okay«, sagte er, »bringen wir diesen schwierigen Eingriff hinter uns.«
Die Schwester reichte Stark ein Stethoskop. Er bedeutete Zoe, das Tuch fallenzulassen. Sie ließ es von den Schultern gleiten, hielt es aber an den Hüften zusammengerafft.
Er wärmte das Stethoskop einen Moment an seinem haarigen Unterarm, dann drückte er die Metallscheibe gegen Zoes Brust, Brustkasten und Brustbein.
»Sehr schön, sehr schön«, sagte er, schwang ihren Stuhl herum und bewegte die Metallscheibe über ihre Schultern, den Rücken. Dann klopfte er einige Stellen mit dem Knöchel ab. »Die gesamte Maschine ist in bester Verfassung«, verkündete er. Die Schwester hielt den Blutdruckmesser schon bereit. Stark schlang ihn um Zoes Oberarm und pumpte das Gürtel-Kissen auf.
»Etwas hoch«,
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