Die dritte Todsuende
den Kopf. »Ich habe Ihnen schon gesagt, Zoe, daß ich keine körperliche Ursache dafür finden kann. Ich wäre froh, wenn Sie meinen Rat befolgen und einen, äh, einen Psychiater aufsuchen würden.«
»Jeder will, daß ich zu einem Irrenarzt gehe«, brach es aus ihr heraus.
Stark blickte plötzlich auf. »Jeder?«
Sie senkte die Augen. »Eine Freundin.«
»Und was haben Sie gesagt?«
»Nein.«
Er seufzte. »Nun, es ist Ihr Körper und Ihr Leben. Aber es müßte nicht sein — die Krämpfe, meine ich.«
»Sie sind nicht so schlimm«, sagte sie.
Aber das stimmte nicht.
Die Krämpfe waren mörderisch. Keine ihrer Pillen half. Die Schmerzen waren wie eine riesige Hand aus Feuer, die sich in ihr zusammenkrallte und hierhin und dorthin bohrte. Am liebsten hätte sie laut losgeschrien.
Am Mittwochabend, 9. April, ging sie früh nach Hause. Sie nahm ein Bad, so heiß sie es irgend ertragen konnte. Über eine Stunde ließ sie heißes Wasser nachlaufen, wenn das Bad sich abkühlte. Ihre Blutungen hatten noch nicht eingesetzt.
Bevor sie sich anzog, schluckte sie das übliche Sammelsurium an Pillen. Dazu trank sie ein Glas Weißwein. Die Schmerzen schrumpften auf ein dumpfes, beständiges Pochen zusammen.
Sie bedauerte, erst zum Filmore an der West 72th Street fahren zu müssen, um Make-up auftragen und die neue erdbeerblonde Perücke aufsetzen zu können. Aber sie wollte nicht Gefahr laufen, daß ihre Nachbarn und der Portier sie als Irene sahen. Außerdem war es zu riskant, direkt von ihrer Wohnung zum Coolidge zu fahren. Möglicherweise erinnerte sich der Taxifahrer hinterher an sie. Ein kleiner Umweg erhöhte die Sicherheit.
Sie hatte sich für das Coolidge entschieden, weil das Fachmagazin der Hotelbranche in seinem Veranstaltungskalender angegeben hatte, daß dort am 9. April zwei Tagungen und eine politische Veranstaltung stattfanden.
Sie trug feuerrote Nylonwäsche, bestickt mit kleinen Herzen, eine rotgetönte durchsichtige Strumpfhose und ihre Abendsandalen mit den »Nuttenabsätzen«. Das hauteng sitzende Kleid war aus grüner Seide, so dunkel, daß es fast schwarz wirkte. Es schimmerte, saß so knapp wie ein Slip und hing an zwei Spaghettiträgern von ihren glatten Schultern herab.
Zwei Stunden später saß sie allein an einem schmalen Tisch im New Orleans Room des Hotels Coolidge. Der Trenchcoat lag zusammengefaltet neben ihr auf dem Sitz. Sie rauchte eine Zigarette und trank ein Glas Weißwein. Sie bewegte nicht ein einziges Mal den Kopf, aber ihre Augen standen nie still.
Es war ein kleiner, schwach erleuchteter, halbvoller Raum. Eine dreiköpfige Jazzband improvisierte lustlos in einer der Ecken. Die Atmosphäre war relativ ruhig und entspannt. Zoe Kohler fragte sich, ob sie nicht besser in den Gold Coast Room gehen sollte.
Die meisten Männer kamen in Zweier- und Dreiergruppen, ohne Mäntel und Hüte, aber mit Abzeichen an den Aufschlägen ihrer Jacketts. Sie nahmen sofort Kurs auf die Bar. An den kleinen Tischen saßen einige Paare.
Kurz nach elf erschien ein einzelner Mann im Eingang. Er blieb einen Moment stehen und blickte sich um.
Komm hierher, flehte Zoe Kohler. Komm zu mir.
Er blickte in ihre Richtung, zögerte und bewegte sich dann beiläufig auf sie zu. Er rutschte hinter den Tisch neben ihrem. Sie zog ihren Trenchcoat und die Schultertasche näher heran. Er bestellte einen Bourbon und Wasser. Seine Stimme war tief, ein schwingender Bariton.
Er war groß, über einen Meter neunzig, und vollkommen kahl. Er hielt sich schlecht und trug eine Brille ohne Rahmen. Seine Züge waren angenehm, die Wangen etwas eingefallen. Seine Handrücken waren mit häßlichen Narben bedeckt. An seiner Brusttasche hing das unerläßliche Namensschild. Zoe erhaschte einen Blick darauf: »Hello! Call me Jerry.«
Sie saßen an ihren Tischen, ohne miteinander zu reden oder sich anzusehen. Sie bestellte noch einen Weißwein, er einen weiteren Bourbon. Endlich …
»Entschuldigen Sie«, sagte er und beugte sich vor.
Sie bedachte ihn mit einem kalten Blick. Er errötete bis unter die nicht vorhandenen Haarwurzeln.
»Eh, ich, nun, ich habe mir gerade überlegt, ob ich Ihnen eine persönliche Frage stellen darf?«
»Sie dürfen«, sagte sie streng. »Vielleicht antworte ich. Vielleicht auch nicht.«
»Eh«, sagte er und schluckte, »dieses Kleid, das Sie da tragen, gefällt mir so gut. Ich möchte meiner Frau ein Geschenk aus New York mitbringen, und ich weiß, daß sie darin wunderbar aussehen würde.«
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