Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dritte Todsuende

Die dritte Todsuende

Titel: Die dritte Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
Vom Netzwerk:
»Ach so, ja. Meine Mutter, mein Vater, meine drei Brüder, zwei Schwestern und einige ihrer Kinder.«
    »Eine große Familie.«
    »Kann man wohl sagen. Mein Vater ist vor zwei Jahren gestorben, aber meine Mutter lebt noch. Alle meine Brüder und Schwestern leben und sind verheiratet. Ich habe inzwischen schon fünf Neffen und drei Nichten. Wie finden Sie das?«
    Sie ging in die Kochnische und lehnte sich an die Wand, um ihm beim Kochen zuzusehen. Er arbeitete mit flinken, knappen Bewegungen: Sauce umrühren, Erbsen schwenken, die Backröhre öffnen, um einen Blick auf den Hackbraten zu werfen. Er schien sich in der Küche auszukennen. Kenneth, erinnerte sie sich, konnte nicht einmal Wasser kochen — oder rühmte sich, es nicht zu können.
    »Noch einen«, sagte Ernest und füllte ihre Gläser nach. »Dann hätten wir's auch schon fast. Ich habe eine Flasche Burgunder besorgt und kaltgestellt. Ich mag keinen warmen Wein. Sie?«
    »Ich mag ihn auch gern kalt«, sagte sie.
    »Haben Sie Geschwister, Zoe?« erkundigte er sich beiläufig.
    »Nein«, sagte sie. »Ich bin ein Einzelkind.«
    Wie sich herausstellte, war das Essen sehr gut. Zoe erging sich immer wieder in Komplimenten, und immer wieder behauptete er, sie wolle nur höflich sein. Erst als sie sich von allem ein zweites Mal nahm und dazu noch die Hälfte des französischen Brotes verzehrte, war er überzeugt. Auch dem Burgunder sprach sie reichlich zu.
    »Das war ein wunderbares Essen, Ernie«, sagte sie und lehnte sich zurück. »Ich habe jeden Bissen genossen.«
    »Ich auch«, sagte er mit seinem schelmischen Grinsen. »Dem Hackbraten hätte etwas mehr Pfeffer gutgetan. Kaffee und Dessert jetzt oder später?«
    »Später«, sagte sie sofort. »Viel später. Ich habe für zwei gegessen. Kann ich beim Aufräumen helfen?«
    »Oh, nein«, sagte er. »Das bleibt alles, wo es steht. Jetzt ruhen wir uns erstmal aus.«
    Sie saßen an dem nicht abgeräumten Tisch und zündeten sich Zigaretten an. Ernie förderte eine Halbliterflasche kalifornischen Brandy zutage und entschuldigte sich, weil er keine Schwenker besaß. Sie tranken den Brandy aus ihren Cocktail-Gläsern.
    Sie sagte: »Es muß schön sein, in einer großen Familie aufzuwachsen.«
    »Nun…« Er zögerte, streifte die Asche von seiner Zigarette. »Es hat seine Vor- und Nachteile. Zu den Nachteilen gehört der Mangel an Privatleben. Ich meine, ich hatte einfach keinen Platz für mich allein — nicht einmal eine Kommodenschublade.«
    »Ich hatte ein eigenes Schlafzimmer«, sagte sie langsam.
    »Das wäre das Paradies für mich gewesen. Bis ich aufs College ging, hatte ich ein Zimmer mit einem meiner Brüder zusammen. Und dort hatte ich dann drei Zimmergenossen. Erst als ich nach dem Abschluß nach New York kam, hatte ich eine ganze Wohnung für mich allein. Was für ein Luxus. Es war ein Hochgenuß für mich.«
    »Empfinden Sie das jetzt immer noch so?«
    »Meistens. Ich glaube, jeder fühlt sich mal einsam. Ich erinnere mich, daß ich mich sogar früher, als ich noch zu Hause mit meinen Brüdern und Schwestern zusammenwohnte, manchmal einsam gefühlt habe. In diesem Getümmel! Meine Brüder waren allerdings auch alle größer, ich war das Nesthäkchen. Sie spielten Football und Basketball, und ich war als Sportler ein totaler Versager, so daß wir nicht besonders viel gemeinsam hatten.«
    »Was war mit Ihren Schwestern?« fragte Zoe. »Ich habe mir immer gewünscht, welche zu haben. Hatten Sie eine Lieblingsschwester?«
    »O ja«, sagte er mit einem Lächeln. »Marcia, die jüngste. Die ganze Familie liebte sie. Wir hatten viel gemeinsam. Wir sind zusammen spazierengegangen, haben uns in ein Feld gesetzt und einander Gedichte vorgelesen. Wissen Sie, was Marcia werden wollte? Harfenistin. Ist das nicht seltsam? Aber natürlich gab es niemand in Trempealeau, der ihr beibringen konnte, wie man Harfe spielt, und meine Eltern konnten es sich nicht leisten, sie irgendwo anders zur Schule zu schicken.«
    »So hat sie es nie gelernt?«
    »Nein«, sagte er und schenkte Brandy nach, »nie. Jetzt ist sie verheiratet und lebt in Milwaukee. Ihr Mann ist in der Versicherungsbranche. Sie sagt, sie sei glücklich.«
    »Ich nehme an, wir hatten alle unsere Träume«, sagte Zoe Kohler. »Dann wachsen wir auf und begreifen, wie unmöglich sie waren.«
    »Wovon haben Sie geträumt, Zoe?«
    »Von nichts Besonderem. Bei mir war alles sehr vage. Einmal dachte ich, ich würde vielleicht Lehrerin werden. Aber im großen und ganzen

Weitere Kostenlose Bücher