Die dritte Todsuende
einem Namen suchte, einer Nummer, irgendwas. Wenigstens taten diese Männer etwas.
Seine eigene Untätigkeit brachte ihn fast um den Verstand. Denn eine Untersuchung war genau das: eine Fährte suchen, beobachten, Beobachtungen auswerten, systematisch vorgehen, am Ball bleiben. Die Untersuchung eines Kriminalfalls war eine Suche, und er wurde von der Herausforderung, der Erregung, den Enttäuschungen und Belohnungen des Suchens ferngehalten.
Deputy Commissioner Ivar Thorsen hatte recht gehabt; in seinen Adern floß das Blut eines Cops; er gab es zu. Er konnte dem Jagdfieber nicht widerstehen; es war ein zehrendes, scharfgewürztes Vergnügen, fast noch stärker als Sex. Alter hatte damit genauso wenig zu tun wie physische Energie. Das Geheimnis lockte, und er würde nie zu alt sein, es enthüllen zu wollen.
Aber die Gelegenheit zu handeln kam eher, als er erwartet hatte…
Am Freitagmorgen, 16. Mai, setzten sich die Delaneys zum Frühstück an den Küchentisch. Erstaunt blickte der Chief auf das opulente Mahl, das Monica zubereitet hatte: Bücklinge, Rührei, Bratkartoffeln, geschwenkte Zwiebeln und Kaffee.
»Was hast du angestellt, daß du mich mit einem so großartigen Frühstück milde stimmen willst?« fragte er mißtrauisch.
Sie lachte schuldbewußt. »Ich habe heute den ganzen Tag zu tun und kann dir deswegen keine weitere Mahlzeit mehr kochen«, sagte sie. »Deshalb dachte ich, wenn ich dir ein anständiges Frühstück vorsetze, läßt du wenigstens ein paar Stunden lang die Finger von den Sandwiches. Du hast zugenommen.«
»Noch ein paar Pfund mehr zum Liebhaben«, sagte er selbstzufrieden und machte sich gutgelaunt über das Essen her. Eine Weile aßen sie schweigend; dann fragte er beiläufig: »Was hast du denn den ganzen Tag so Wichtiges zu tun?«
»Die Amerikanische Frauengesellschaft hält hier eine dreitägige Versammlung ab. Ich habe mich für die Veranstaltungen, die heute stattfinden, eingetragen.«
»Wo findet die Tagung statt?« fragte er. »In welchem Hotel?«
»Im Hilton.«
Er hielt inne, eine Gabel voll Bückling halb an den Mund gehoben. Er starrte in die Luft, auf einen Punkt über ihrem Kopf.
»Woher weißt du, daß die Tagung im Hilton stattfindet?« fragte er langsam.
»Ich habe ein Informationsschreiben bekommen. Mit einem Teilnahmeformular«
»Aber in den Zeitungen ist nichts darüber erschienen?«
»Ich habe nichts gesehen. Heute ist der erste Tag. Vielleicht bringen sie morgen etwas.«
Er schob die Gabel in den Mund und kaute nachdenklich. »Aber es war keine Vorankündigung in den Zeitungen?« fragte er noch einmal.
»Edward, was soll das?«
Statt zu antworten, fragte er: »Was für Tagungen finden im Hilton heute sonst noch statt?«
»Woher, um alles in der Welt, soll ich das wissen?«
»Was für Tagungen finden zur Zeit im Americana statt?« fragte er.
»Edward, würdest du mir bitte sagen, was das alles soll?«
»Gleich«, sagte er. »Laß mich nur zuerst mit diesem Festmahl fertig werden. Es ist ausgesprochen köstlich.«
Sie brummte voller Verachtung für diesen platten Versuch, sie zu besänftigen. Aber ihr blieb nichts anderes übrig, als zu warten, bis er seinen Teller leergegessen und jedem noch eine Tasse schwarzen Kaffee eingegossen hatte.
»Du hast keine Ahnung, welche Tagungen gerade im Hilton stattfinden«, sagte er, »mit Ausnahme natürlich der, die du selber besuchst. Ich hatte keine Ahnung, daß im Hilton heute überhaupt eine Tagung stattfindet. Keiner von uns beiden weiß, was für Tagungen heute im Americana oder sonst einem Hotel der Stadt abgehalten werden. Warum sollten wir auch? Es interessiert uns ja nicht.«
»Das heißt?«
»Das heißt, daß ich jetzt seit Wochen nach einem Bindeglied zwischen den Hotel-Ripper-Morden suche. Etwas, das sie alle gemeinsam haben. Etwas, das wir bisher übersehen haben.«
Sie starrte ihn an. »Du meinst, in all den Hotels, in denen die Morde verübt wurden, fanden Tagungen statt?«
Er sprang auf, marschierte um den Tisch herum und gab ihr einen schmatzenden Kuß auf die Wange.
»Mein kleiner Detektiv«, sagte er. »Danke für ein hervorragendes Frühstück und danke für den Hinweis. Du liegst genau richtig; die Bluttaten fanden alle in Hotels statt, in denen gerade Zusammenkünfte abgehalten wurden. Und zwar schon im Februar, nicht gerade die Blütezeit der Tagungssaison in New York. Die Täterin hat sich Hotels ausgesucht, in denen Tagungen, Verkaufskonferenzen oder andere große Versammlungen
Weitere Kostenlose Bücher