Die dritte Weissagung
gelöscht, weggebrannt, wie man mit glühendem Eisen ein Geschwür von der Haut tilgte.
Wohl aber wußte er noch, wie er in jener Nacht seine tote Frau begraben hatte, unweit der Scheuer, inmitten dichten Buschwerks, und die aufgeworfene Erde hatte er sorgsam festgetreten und mit dornigem Gestrüpp getarnt.
Den Leuten im Dorf erzählte er, Rosinande sei krank und wolle keinen Menschen sehen, keinen Besuch empfangen.
Den Doktor, den ein fürsorglicher Nachbar aus dem nächsten Dorf geholt hatte, wies Carlos an der Tür ab. Der gute Mann konnte von Glück reden, daß er seine Hilfe nicht mit mehr Nachdruck aufdrängte. Carlos hätte nicht gezögert, ihm den Hals umzudrehen. Nachdem er ihm das Blut aus selbigem gesoffen hätte .
Der Durst trieb den untoten Bauern elend um. Aber er wagte es nicht, seinen Trieb zu stillen. Zu leicht hätte man ihm im Dorf auf die Spur kommen können. Und überdies durfte er sein Haus nicht unbeaufsichtigt lassen - - um seiner Herrin willen.
Sie schlief in seinem Bett, seit Wochen schon. Seit er sie .
An diesem Punkt versickerte Carlos' Denken stets. Er wußte nicht mehr, wie sie in sein Haus gekommen war.
Egal. Wichtig war nur, daß er ihren Schlaf hütete. Irgendwann würde sie erwachen, und dann würde sie ihm erlauben, seinen Durst zu löschen, draußen, irgendwo. Seite an Seite würden sie fortgehen, er würde ihr folgen, wohin sie sich auch wenden mochte.
Bis dahin begnügte sich Carlos mit dem Blut von Tieren. Es stillte kaum seinen Hunger, das Sättigungsgefühl schwand, kaum daß er sich des Kadavers entledigt hatte. Aber ihr unbeseeltes Blut half ihm zumindest, die Wochen zu überdauern.
Dann, eines Nachts, als Carlos am Küchentisch sitzend seine Zähne in den Balg einer fetten Ratte schlug, stand sie plötzlich hinter ihm.
»Was bist du doch für eine widerwärtige Kreatur«, hörte er Irina sagen.
Und es waren die letzten Worte, die er hörte.
Seine Herrin drehte ihm das Gesicht nach hinten, und er erhaschte noch einen allerletzten Blick auf ihr bleiches Gesicht, ehe sich ewige Dunkelheit über ihn senkte.
*
Ihr Blut war kälter als je zuvor. Und die Kälte in ihr reichte tiefer als in jedem anderen ihrer Art.
Irina hatte sich verändert, ohne zu wissen, aus welchem Grund.
Was geschehen war in jener Nacht, sie hatte es vergessen. Die Erinnerung daran war ausgelöscht - bis auf einen vagen Schemen, der weder zu deuten noch zu lüften war.
Irgendwann, dessen wenigstens war sich Irina sicher, würde er sich heben, und sie würde erkennen, was er verbarg. Dann würde sie ihre Bestimmung erfahren.
Bis dahin aber .
Lange Jahre lagen vor Irina. Jahre, in denen sie gänzlich aus der Art schlug. Sie zog umher, bereiste die Welt, von steter Unruhe getrieben, ein sinnloses Dasein führend.
Einen Sinn ... das war es, was sie brauchte. Eine Aufgabe.
Einmal auf diesen Gedanken gekommen, fiel es Irina nicht schwer, eine solche zu finden.
Sie besaß ein ganz besonderes Talent.
Irina verstand sich aufs Töten!
Auf viele Arten des Tötens, und kein Mensch konnte sie für dieses Tun zur Rechenschaft ziehen. Weil sie über allen irdischen Gesetzen stand.
Einer solchen Mörderin würden viele Menschen die Welt zu Füßen legen, wenn sie nur ihre Dienste in Anspruch nehmen durften.
Langeweile und Müßiggang wurden in den Jahren zu Fremdwörtern für Irina.
Erfüllung indes fand sie nicht.
Lange nicht ...
*
Gott schuf die Katze,
damit der Mensch einen Tiger zum Streicheln hat.
Victor Hugo
Vatikanstadt 28. September 1978,16 Uhr
Kardinal Jean Villot war einer der letzten Menschen, die Albino Lu-ciani lebend sahen. Luciani freilich ahnte dies nicht einmal. Villot dagegen wußte es ... Aber nichts von seinem Wissen, nichts von dem, was er im Verborgenen höchstselbst in die Wege geleitet hatte, war Kardinal Villot an diesem Spätnachmittag anzumerken, als er Albino Luciani in dessen Wohngemächern gegenübersaß. Albino Luciani ...
Ein kleiner, stiller Mann von 65 Jahren, bescheiden und voller De-mut, die personifizierte Unscheinbarkeit quasi - und doch der mächtigste Mann im weltweiten Gefüge der katholischen Kirche! Und mehr noch: ein Mann, der binnen kürzester Zeit Pläne für eine Revolution geschmiedet hatte, die als größte, bedeutsamste in die Geschichte des 20. Jahrhunderts eingehen konnte - - wäre ihm die Zeit geblieben, seine umwälzenden Ideen auch umzusetzen.
So würde »nur« er selbst einen Platz in der Historie finden - als Träger eines der
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