Die dritte Weissagung
Marcinkus' Gesundheit scheint mir seit einiger Zeit angegriffen -«, und Villot kannte auch den Grund dafür: Paul Marcinkus wußte längst, daß ihn der Papst aufs Korn genommen hatte!, »- und eine Nachricht wie diese könnte ihm weiter schaden .«
Lucianis Miene änderte sich nicht um einen Deut, drückte nach wie vor etwas wie stille Heiterkeit aus, als er sagte: »Nun, dann sollten wir ihn nach Chicago versetzen. Er ist doch dort in der Nähe gebürtig, nicht wahr? In einem Ort namens Cicero, wenn ich nicht irre.
- Heimatluft wird ihm gut tun.«
Jean Villot konnte kaum an sich halten. Verdammt, dieser Kerl wußte über jeden Furz Bescheid!
»Ja, sicher«, beeilte er sich zu sagen, ehe sein Mißmut offensichtlich werden konnte, »das wird ihm gefallen, denke ich.«
Johannes Paul I. warf einen flüchtigen Blick auf die Wanduhr. Kardinal Villot wußte, was das bedeutete, und machte Anstalten, sich zu erheben. Er war entlassen - wenn auch nur aus dieser Unterhaltung. Vorerst . Zu mehr allerdings würde es nicht mehr kommen.
Unwillkürlich sah auch Villot zur Uhr. Sie zeigte halb acht.
Albino Lucianis Zeit lief ab.
Für alle anderen würde sie stehenbleiben.
Jean Villot lächelte beim Abschied.
Nichts würde sich ändern .
... der italienischen Lösung sei Dank!
*
Vatikanstadt 28. September 1978,19:50 Uhr
Im dritten Stock des Apostolischen Palastes setzte sich Albino Lucia-ni mit seinen beiden persönlichen Sekretären, den Patres Diego Lo-renzi und John Magee, zu Tisch. Die Schwestern Vincenza, Assunta, Clorinda und Gabriella, mit der Betreuung des päpstlichen Haushalts beauftragt, trugen ein einfaches Mahl auf: Brühe, Kalbfleisch, grüne Bohnen und Salat. Wortlos zogen sich die Nonnen zurück, nachdem der Heilige Vater ihnen lächelnd signalisiert hatte, daß alles zum Besten war.
Die drei Männer am Tisch sprachen wenig während des Essens. Ein Teil ihrer Aufmerksamkeit galt den Nachrichten, die im Fernsehen gezeigt wurden und in denen Hunger, Krieg und Tod die be-herrschenden Themen waren, wie an so vielen anderen Abenden.
Wenn es nach Johannes Paul I. ging, würden diese Dinge in Zukunft zumindest ein wenig an Bedeutung verlieren.
Und er sprach bei Tisch darüber, wenn auch eher wie im Selbstgespräch als zu seinen Sekretären, und es schien den beiden fast, als müsse sich der Papst von der Richtigkeit seiner Ideen und seines Tuns überzeugen, indem er laut darüber redete.
»Die Kirche muß in den für die Menschheit wichtigen Fragen eine an den wirklichen Nöten und Bedürfnissen der Gläubigen orientierte Haltung einnehmen. Wir müssen den Reichtum und die Macht von uns werfen. Diese Welt braucht eine Kirche, die wieder allein auf das setzt, was von jeher ihr größter Trumpf, ihr mächtigstes Argument und dauerhaftester Reichtum war: das Evangelium.«
»Ein langer Weg«, merkte Diego Lorenzi an.
»Gott schenkt mir Geduld«, lächelte Johannes Paul I. »und Zeit.«
Eher zufällig sah er auf seine Armbanduhr - und verkniff sich mit sichtlicher Mühe einen Fluch.
»Sie steht schon wieder!« schimpfte er.
Lorenzi und Magee grinsten einander zu.
Die neue Uhr des Papstes war ihm zum ständigen Ärgernis geworden, und das nicht nur, weil sie fortwährend nicht recht funktionieren wollte.
Monsignore Macchi, der Sekretär des verstorbenen Papstes Paul VI. hatte sie ihm geschenkt, nachdem in der Kurie abfällige Bemerkungen über Lucianis unansehnlich gewordene alte Uhr die Runde gemacht hatten. Mit etwas so Häßlichem dürfe der Papst nicht herumlaufen, hatte Macchi gemeint, das schade dem Image der Kirche ... und genau diese Geschichte erzählte Albino Luciani jetzt ein weiteres Mal.
». als ob ich ein Gebrauchtwagenhändler wäre, der des seriösen Eindrucks wegen auf ordentliche Bügelfalten und saubere Fingernägel achten müßte!« kam er sich ereifernd zum Ende.
Beim Schlußgong der Nachrichtensendung stellte er seine Uhr, dann hob er die schlichte Tafel auf und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück.
Eine halbe Stunde später verband Pater Lorenzi den Papst telefonisch mit Kardinal Colombo in Mailand, mit dem Luciani etwa eine halbe Stunde sprach.
Kurz vor 21:30 Uhr kam Papst Johannes Paul I. noch einmal aus seinem Arbeitszimmer, um den Patres Lorenzi und Magee eine gute Nacht zu wünschen.
»Buona notte. A domani. Se Dio vuole.« (»Gute Nacht. Bis morgen. So Gott will.«)
Gott wollte nicht.
Diego Lorenzi und John Magee waren die letzten Menschen, die Albino Luciani lebend
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