Die dritte Weissagung
Scherenschnittartig zeichnete er sich tiefschwarz gegen das Rund des Mondes ab, und zu beiden Seiten erkannte Francisco zwei vertraute Gestalten.
Sie hatten ihren Ruf also auch vernommen!
Während er die Flanke des Hügels hochrannte, rief Francisco keuchend ihre Namen.
»Lucia! Jacinta!«
Die beiden Mädchen hatten ihn längst bemerkt. Das Mondlicht vertrieb das Dunkel der Nacht, und als der Junge bei seinen Freundinnen anlangte, da schienen ihm ihre Gesichter wie mit silberner Farbe bemalt, die zudem noch geheimnisvoll leuchtete.
Lucia und Jacinta strahlten im wahrsten Sinne des Wortes, und nicht anders mußte Francisco auf sie wirken.
»Ihr habt sie auch gehört?« fragte er, obschon er die Antwort bereits kannte.
Die Mädchen nickten.
»Hat sie ...«, setzte der Junge an, »... ich meine, hat sie etwas gesagt? Oder euch nur gerufen?«
»Sie möchte uns etwas mitteilen«, erwiderte Lucia. Ihre Augen waren dunkel und groß wie die eines Kälbchens.
»Hat sie das genau so gesagt?« hakte Francisco nach.
Lucia nickte. Ihre Zöpfe schaukelten wie Pendel über ihre schmalen Schultern. »Ja. Bedeutender, hat sie gesagt, als alles, was sie uns zuvor gesagt hat.«
»Mein Gott ...!« entfuhr es Francisco. Er fröstelte in der lauen Nacht.
Bedeutender als alles vorher Gesagte ... Hieß das ... schlimmer als alles andere?
Eine kleine Hand legte sich auf seine Lippen. Jacinta sah strafend zu ihm auf.
»Wie kannst du den Namen des Herrn -« fuhr sie in kindlicher Entrüstung auf, wurde aber unterbrochen.
»Laß es gut sein, kleine Jacinta!«
Die Stimme glich einem warmen Wind, der durch die Nacht fuhr, die mit einemmal noch heller war als in der Sekunde zuvor.
Im Licht des Mondes manifestierte sich ein weiteres, ein gleißendes Licht wie von weißer Glut, so strahlend und rein, wie nichts auf der Welt sein konnte - - weil dieses Licht nicht von dieser Welt war.
Und was sich darin manifestierte, war von überirdischer Schönheit.
Ein Wesen wie ein Geist. Aber der reinste Geist von allen!
Die Mutter Gottes.
»Maria ...!« kam ihr Name aus dreier Kinder Mund.
*
Zweimal war sie ihnen schon erschienen.
Und beide Male hatte sie ihnen große Dinge verkündet, auf daß die Kinder die Welt warnten! Kindliche Unschuld sollte die Bedeutung der Prophezeiungen noch unterstreichen - - aber wer maß in dieser Welt den Worten von Kindern schon Bedeutung bei?
Francisco, Lucia und Jacinta kannten keine Angst vor der gleißenden Erscheinung. Grenzenlose Ehrfurcht erfüllte sie, und Staunen war in ihnen, wie es nur Kinder empfinden konnten.
Beides öffnete ihre Herzen und ihre Geister gleichermaßen, machte sie bereit, alles aufzunehmen, was die Erscheinung ihnen mitzu-teilen hatte. Nicht das geringste Fünkchen Zweifel trübte ihre Wahrnehmung, sie waren ganz Ohr. Und mehr noch: Wäre die Welt in diesem Augenblick um sie her in Trümmer gegangen, sie hätten nicht einmal mit den Wimpern gezuckt.
Auf einer anderen, unbedeutenden Ebene seines Denkens fürchtete Francisco um sein Augenlicht. So blendend hell war die Erscheinung, aus purem Licht gemacht, daß ihm Tränen über die Wangen rannen. Aber zugleich wußte er, daß die Tränen nichts mit dem Licht zu schaffen hatten; ihr Fluß wurde gespeist von jenem Gefühl, das in ihm war, und von dem Wissen, daß er die Mutter Gottes, ihre Anmut und Schönheit, nie mehr würde schauen dürfen.
All dies aber vermochte sein Gehör nicht zu betäuben. Der Junge sog jedes Wort auf, das Maria zu ihnen sprach, und den Mädchen erging es nicht anders.
Die Mutter Gottes füllte die Seelen der Kinder mit Wahrheit.
Mit grausamer, furchtbarer Wahrheit, die diese Welt dereinst überkommen würde - - und der die Menschheit zum Opfer fallen konnte, wenn ihr nicht Einhalt geboten wurde!
Wenn niemand die Weissagungen ernstnahm und danach handelte.
*
Irina erreichte das Dörfchen Fatima am Abend des 13. Oktober 1917. Es bereitete ihr keine Mühe, als Gast in einem der abgelegeneren Höfe unterzukommen. Das Blut der Bauersfrau, eine dralle Gestalt mit rotem Gesicht und derben Händen, half der Vampirin, die Strapazen der eiligen Reise vergessen zu machen, bevor sie ihr das Genick brach.
Für ihren Gemahl nahm sich Irina mehr Zeit. Obgleich er ihrem Sinn für männliche Schönheit nicht im geringsten nahekam, teilte sie mit ihm das Lager und ließ sich seine ebenso derben wie unbeholfe-nen Bemühungen gefallen. Hauptsache war, daß sein Blut in Wallung geriet.
Als sie merkte, daß er
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