Die Drohung
Halt! Stop! »Erzählen Sie das mal oben Ihren Kollegen«, riet ich ihm. »Hier unten lebt ein dunkler Fleck der Polizei.«
Ich glaube, ich habe dem guten Dr. Schwartz mit ›tz‹ ganz schön eingeheizt, denn eine Stunde später erschien Beutels bei mir. Jovial wie immer, eine Brasil zwischen den Zähnen, eine lange, blonde Havanna in der Hand, bereits abgeschnitten, rauchfertig. Für mich.
Vorsicht, mein Junge. Jetzt geht es an die Substanz, dachte ich. Mein Vater erzählte, im Krieg habe es immer dann Schnaps gegeben, wenn das große Sterben befohlen wurde. Vor einem Sturmangriff, einem Stoßtrupp, einer Patrouille, wenn Panzer gemeldet waren. Mit Schnaps im Magen stirbt sich's einfacher, dachte man. Erst ein wohliges Gefühl, dann verrecken … die Leute damals hatten Lebensart. Nicht anders macht es Beutels – sein Signal zum Verrecken ist die Zigarre.
Ich war höflich und nahm sie dankend an.
»Bergmann, Sie sind tot!« sagte er ohne Einleitung. Dabei setzte er sich auf einen Stuhl, Marke Küchenwunder, von Kunzelfrey hereingestellt mit einem zackigen »Bitte, Herr Kriminalrat!«
»Ganz wie Sie wollen«, antwortete ich gut erzogen. Man soll höheren Beamten zunächst nicht widersprechen, sondern ihnen zuhören. Je länger sie nämlich reden, um so verwundbarer werden sie. Das hat einen tiefen psychologischen Grund. Höhere Beamte sind gewöhnt, daß man ihnen auf kurze, knappe Worte hin gehorcht. Müssen Sie aber lange Erklärungen geben, werden sie unsicher und verlaufen sich im Labyrinth ihrer eigenen Worte. Je mehr sie reden und je länger man dazu schweigt, um so höher wächst der Berg der Munition gegen sie.
»Sie haben es sich selbst zuzuschreiben. Ich mußte Dr. Schwartz vergattern, den Mund zu halten. Wir hatten ein Abkommen getroffen, daß Sie bis zum 27. August den Mund halten.«
Granate Nummer 1 gegen Beutels. Ich lächelte charmant, was ihn irritierte. »Es war ein einseitiges Abkommen«, sagte ich. »Sie legten mir die Lage dar, aber ich akzeptiere nicht. Ich will raus! Das Datum 27. August stammt von Ihnen, nicht von mir. Sie haben Angst vor einer Atombombenexplosion … ich denke nur an meinen Artikel. Soll ich Ihnen einmal vorlesen, was ich geschrieben habe?«
»Danke.« Beutels reichte mir Feuer für die Zigarre. Sie war wirklich gut – obwohl ich wenig von Zigarren verstehe, merkte ich es am Duft und am milden Rauch. Wenn Beutels nur solche Marken raucht, muß mindestens ein Viertel seines Gehalts für Zigarren draufgehen. »Ich bin im Augenblick nicht literarisch gesinnt. Zudem lese ich jeden Abend Voltaire, und die Menschenverachtung dieses alten Spötters trifft haargenau meine Stimmung. Sie kennen Voltaire?«
»Flüchtig. Er war homosexuell.«
»Alexander der Große auch.«
»Der interessiert mich hier in Zelle 14 überhaupt nicht.«
Ein saublödes Gespräch. Was wollte Beutels wirklich? Ich beäugte ihn scharf durch den Rauch meiner Zigarre. Seine Gemütlichkeit macht mich nervös. Der Trick, den höheren Beamten einfach reden zu lassen, zog hier nicht mehr. Beutels hatte die Lage fest in der Hand.
»Sie werden verlegt«, sagte Beutels plötzlich.
»Ich denke, ich bin tot?«
»Damit werden Sie tot sein. Sie kommen nach Stadelheim.«
»In einen richtigen Knast? Ohne Haftbefehl? Das schaffen selbst Sie nicht, Herr Kriminalrat.«
»Warum unterschätzt die Presse immer bloß die Polizei? Sind wir eine Versammlung der Blöden der Nation?! Mein lieber Bergmann –«
O weh. Wenn er so anfängt, war es wirklich ernst. Ich wurde wach wie ein verfolgter Wolf.
»… hier habe ich alles, was man braucht.« Er griff in die Tasche und holte einige Papiere heraus. »Haftbefehl. Einweisung durch den Untersuchungsrichter. U-Haft auf unbestimmte Dauer wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr. Was wollen Sie mehr?«
Ich war sprachlos, das heißt: für eine Minute stummen Staunens – aber dann legte ich los. Ich warf die wirklich herrliche Zigarre an die Wand und ballte die Fäuste.
»Sie werden keine Freude daran haben!« schrie ich. An der Türklappe erschien das dicke rote Gesicht von Kunzelfrey. Seine in Fett gebetteten Augen stierten mich böse an. »Ich schwöre Ihnen: Ich werde der unruhigste Häftling sein, den Stadelheim je beherbergt hat. Jeden Tag ist eine neue Zelleneinrichtung fällig! Ich werde mir den Kopf an der Wand blutig rennen, um in ein Krankenhaus zu kommen! Verkennen Sie nicht meine Intelligenz in Schikanen.«
»Einen Eimer Wasser, Herr Kriminalrat?« brüllte
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