Die Drohung
seiner Gäste zu sorgen, aber hier liegt ein überstaatlicher Notstand vor, der alle Völker betrifft‹. Soweit die Expertise. Es ist also klar, daß Deutschland die 10 Millionen Dollar nicht allein zahlen wird.«
»Wenn sich die anderen Staaten dieser deutschen Expertise anschließen.« Wieder dieser Beutels. Man sollte ihn zu nachfolgenden Konferenzen nicht mehr einladen. »Es wäre interessant, Herr Minister, auch rein theoretisch interessant, die in Frage kommenden Staaten mit der Situation vertraut zu machen und ihnen ihre anteilige Rechnung zu präsentieren.«
»Sollen wir uns lächerlich machen?« Der Innenminister lehnte sich sichtlich erbost zurück. »Was ist bisher geschehen? Nichts! Zwei dumme Briefe, die mysteriöse Anzeige ›Wir danken dem ehrlichen Finder‹ durch ein noch unbekanntes Mädchen, und darauf keine Reaktion mehr! Ich habe große Lust, die Sonderkommission aufzulösen.«
»Das wäre auch mein Vorschlag gewesen«, sagte Abels müde. Oberstaatsanwalt Dr. Herbrecht blätterte nervös in seinen Papieren. Als Chef dieser Sonderkommission hatte er sich denkbar unwohl gefühlt. Er hatte zehn Tage auf dem Oberwiesenfeld herumgestanden, den dämlichen gelben Plastikhelm auf dem Kopf, war von Touristen, die mit Bussen kamen und die Bauten besichtigten, nach Maßen, Gewichten, Längen und Breiten gefragt worden und hatte mehr als einmal enttäuscht gehört: »Ach, Sie sind ja gar nicht ein Fremdenführer? Entschuldigen Sie. Ich dachte, Sie seien hier so etwas wie 'ne männliche Hosteß …« Er hatte völlig sinnlos die Radarspezialisten in die Keller des Stadions begleitet und sich überzeugt, daß die Geräte überall tickten und brummten und die Zeiger ausschlugen, und auch das französische Betonröntgengerät erwies sich als unbrauchbar, weil man nach Berechnungen eines Baurates ungefähr ein Jahr brauchen würde, um alle Fundamente Zentimeter für Zentimeter zu durchleuchten.
»Wir können nichts mehr tun«, sagte Abels in die peinliche Stille rund um den Tisch. »Meine Hoffnung war, daß auf die Anzeige – auch wenn sie nicht von uns stammt – eine Reaktion erfolgen würde.«
»Logisch gedacht: Es gibt keine Bombe!« Der Innenminister ließ sich von Beutels eine Zigarre und Feuer anbieten. Eine Sumatra, wie Eingeweihte feststellten. Beutels war also guter Laune. »Blasen wir alles ab, meine Herren! Die Arbeit war nicht umsonst … Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.«
Man grinste pflichtschuldig. Allgemeinwitze dieser Art lockern die Gespanntheit solcher Sitzungen nur mühsam auf. Man hätte jetzt aufstehen und weggehen können, jeder an seinen früheren Arbeitsplatz, aber man blieb sitzen. Das Pech der Ungewißheit ließ sie auf den Stühlen kleben. Denn das blieb: Ungewißheit und Unbehagen. Die Sache war irgendwie so weit vorgetrieben, daß man sie nicht einfach abtun konnte. Vor allem die Kleinarbeit hatte Erfolg gehabt: Das Papier stammte von der Firma Ruhrpapier AG und wurde in Kaufhäusern verkauft. Geschrieben waren die Drohbriefe auf einer Olympia-Schreibmaschine (wie sinnig) mit Picaschrift. Die Buchstaben ›a‹ und ›l‹ sowie das ›z‹ waren ausgeschlagen, also unterm Mikroskop unrein. Die Speichelprobe (Belecken der Briefmarke) war negativ … der Absender hatte nicht die Briefmarke beleckt, sondern die Gummierung mit einem in Wasser getauchten Lappen benetzt. Das Farbband in der Olympia-Schreibmaschine stammte von Faber-Castell. Seide, tiefschwarz. Eine Meisterleistung der chemischen Kriminalistik, die direkt ins Dunkel führte.
»Das einzige Interessante«, sagte der Innenminister, als keiner sich erhob, »ist die Erfahrung, die ich in diesen Tagen mitgenommen habe: Wenn wirklich eine solche Drohung zur Tatsache wird, sind wir ihr wehrlos ausgeliefert. Ist das nicht beschämend?«
»Nein!« sagte Beutels laut. Alle Köpfe zuckten zu ihm herum.
»Nicht?« Die Stimme des Innenministers hob sich etwas. »Sitzen wir nicht herum wie die Weihnachtsmänner, die auf Schnee warten?«
»Nur, weil nichts geschieht. Wer 10 Millionen Dollar kassieren will, muß sie ja auch abholen! Von diesem Zeitpunkt an, wo konkrete Wünsche vorliegen, wird eine Aktion ablaufen, über die Sie staunen werden, Herr Minister. Das Phantom muß Gestalt annehmen, schon wegen des Geldes. Hat es Gestalt, können wir hoffen, es anzufassen. Gegen Gespenster hat noch niemand gesiegt.«
Auf dem Tisch, vor dem Polizeipräsidenten, schlug das Telefon an. Die Gesichter der Runde versteinerten.
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