Die Drohung
denken mag. Zwei Reaktionen liegen vor: Sowjetrußland schickt einen Spezialisten des Innenministeriums.«
»Deutlich gesagt: KGB.«
»Ja. Und die USA bringen einen Mann aus dem CIA auf Trab. Einen ihrer besten.«
»Wie im Fernsehen! Die Elektronengehirne! Was soll das alles?«
»Sie melden sich bei Ihnen, Beutels. Drücken Sie sie väterlich an Ihre breite Brust.«
»Gott hat für das Alter Würde und Weisheit geschaffen. Zum Glück bin ich in dieser Altersstufe! Weiß man schon die Namen der beiden Wunderknaben?«
»Von dem Russen nicht. Aber der des Amerikaners steht fest. Er heißt Richard Holden.«
Washington
Harold J. Berringer – ›J.‹ bedeutete Josoa – galt in Bekanntenkreisen und sogar bei seinen Verwandten als biederer Beamter. Er arbeitete bei der obersten Bundessteuerbehörde, der letzten Instanz also, was ihm eine gewisse Aureole verschaffte, die er sorgsam pflegte. Bei seinen Freunden galt er als Geheimtip: Tauchten im Geschäftsleben irgendwelche Fragen im Zusammenhang mit Steuerzahlungen auf (und bei wem wäre das nicht der Fall?), dann konnte man Harold J. Berringer zur Seite nehmen, mit ihm in ein Restaurant, eine Snackbar oder ein Spezialitätenlokal wie zu dem Chinesen Hi-lu-fan gehen, ihm ein gutes Essen und einen gepflegten Whisky spendieren und fragen: »Harold, alter Junge, nun gib mir mal einen Rat, ja? Der Staat ist der größte Blutsauger. Die Vampire sind dagegen süße Tierchen, und mit Frankenstein kann man Halma spielen! Ich habe da ein Geschäft unter der Hand gemacht … wie kann man Steuern sparen?«
Und obgleich Harold J. Berringer ein korrekter Beamter war, wußte er immer einen Ausweg. Seine Ratschläge waren hervorragend – und immer legal. Und so wuchs der Heiligenschein um seinen schon angegrauten dicken Kopf … Man hätte ihn im Stadtteil Rosslyn, wo er ein kleines, schönes, weißgestrichenes Haus im Kolonialstil besaß, zum ›Beamten des Jahres‹ gewählt, wenn es so etwas gegeben hätte. Überall grüßte man Berringer mit einer gewissen Ehrfurcht und war innerlich beruhigt, einen solchen Mann an verantwortungsvoller Stelle zu wissen.
Was man nicht wußte: Berringer pflegte dieses Beamten-Image mit größter Sorgfalt, ja, er hatte es bewußt aufgebaut. Seine Aufgabe in Washington bestand nämlich in keiner Weise darin, für Steuergerechtigkeit zu sorgen, sondern im Gegenteil: er gehörte einer Truppe an, die einen schönen Batzen Steuern auffraß, ohne daß diese Zahlen in einem Haushaltsplan beim richtigen Namen genannt wurden. Berringer fuhr auch nur zum Schein zu seiner Dienststelle. Er durchquerte das Riesengebäude in aller Ruhe, mit dem lässigen Schritt des Festangestellten, bestieg in einem Hinterhof einen wartenden großen schwarzen Wagen, setzte eine Sonnenbrille auf und verließ über eine Ausfahrt auf der Rückseite des Bürohauses wieder die oberste Steuerbehörde.
Das geschah jeden Morgen. Am Abend kehrte er zurück, parkte den Wagen im Hof, bummelte durch die Halle und verließ das Haus vorn wieder als der angesehene Harold J. Berringer. Freundlich grüßend, höflich, ein Musterbild des demokratischen Staatsbürgers.
Seine Amtsgenossen hatten schon Wetten darauf abgeschlossen, daß selbst Berringers Familie – eine hübsche, blonde Frau und drei Kinder von 7, 19 und 21 Jahren – nicht wußte, was er eigentlich den ganzen Tag über trieb. Die Wette konnte niemand gewinnen, denn Fragen hätten Berringers wahres Gesicht entlarvt. Das aber wäre eine Katastrophe gewesen.
Harold J. Berringer war Abteilungsleiter im CIA. Er saß in einer Spezialabteilung des US-Geheimdienstes, wußte über Dinge Bescheid, die in so ausführlicher Form nicht einmal der Präsident der Staaten kannte, befehligte eine Truppe ausgesuchter und ausgekochter Agenten und wurde mit Aufgaben betraut, die immer ein gewisses Fingerspitzengefühl erforderten. Drei heiße Fälle hatte Berringer elegant gelöst; darunter den berühmten Fall des Atomspions, den man später gegen drei in der Sowjetunion inhaftierte amerikanische Agenten austauschen konnte … in aller Stille, ohne Presse und Fernsehen, freundschaftlich fast … Gibst du meinen Onkel, geb' ich deinen Onkel.
Berringers Büro war ein großes Zimmer im Washingtoner Pentagon. Von seinem Fenster aus konnte er weit über die Arlington Farms blicken, und bei ganz klarem Wetter sah er am Horizont Rosslyn, wo er wohnte, und die Theodore-Roosevelt-Insel im Potomac-Fluß. Dieser Weitblick schien ihn stets zu
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