Die Drohung
zerfließt alles in die vier Himmelsrichtungen und ins Unmeßbare. Wir wissen jetzt nur eins: Ihr Bruder lebt. Er ist zumindest nicht ertrunken. Das sollte für Sie eine große Beruhigung sein. Und außerdem –« Beutels spielte mit seinem jovialen, väterlichen Lächeln, das immer beruhigend wirkte – »bei Journalisten sind wir einiges gewöhnt. Journalist sein heißt, sich durch den Teigberg Mensch hindurchzufressen …«
Nach zwei Cognacs und vier neuen Markthallenwitzen Prutzlers verabschiedete sich Beutels. Helga brachte ihn zur Haustür. Sie brauchte frische Luft. Alles um sie herum war zu beklemmend … die leere Wohnung, der zerfetzte Taucheranzug, die Gewißheit, daß Hans lebt, das Blumenmeer und Prutzlers anstrengende Tröstertätigkeit. Tief atmete sie die kühle Nachtluft ein. Sie durchrann die Lunge und dann mit dem Blut reinigend ihren ganzen Körper. Der Druck an beiden Schläfen ließ nach.
»Ich danke Ihnen, Herr Rat«, sagte sie und gab Beutels die Hand.
Einen Augenblick schien es so, als wolle Beutels aus seiner Rolle fallen. Aber dann fing er sich, nickte und tätschelte Helgas Hand.
»Keine Sorgen. Er muß leben. Das sagen Sie sich immer vor, und dann denken Sie immer: Mein Bruder ist Reporter! Verrücktheit gehört zum Handwerk. Dann sieht die Welt für Sie ganz anders aus! Gute Nacht.«
Im Wagen setzte sich Beutels hinters Steuer und fabrizierte einen Kavaliersstart, um schnell aus dem Blick des Mädchens zu kommen. Es war das erstemal, daß Beutels so kriminell gelogen hatte.
»Eine Meisterleistung, Herr Rat!« sagte neben ihm der Kripobeamte ehrfurchtsvoll.
»Was?«
»Alles. Sie glaubt uns.«
Beutels nickte. Bittere Falten gruben sich in seine Mundwinkel. Er sah plötzlich sehr alt aus.
»Merken Sie sich eins, Schmidtbauer: Wer die deutsche Sprache beherrscht und sie mit aller artistischer Rabulistik anwendet, dem wird immer geglaubt. Daran sind schon Weltreiche zerbrochen! Heute nacht schäme ich mich.«
Zelle 14
Verdammt, ich habe keine Ruhe gelassen!
Wenn die hier glauben, sie könnten mich auf die kalte Art ausschalten, dann kennen sie Hans Bergmann nicht. Eine Polizeizelle ist kein Mittel, mich zum Schweigen zu bringen. Weder die Zellenordnung geht mich etwas an – ich habe sie sofort von der Wand gerissen – noch das Brüllen des Oberwachtmeisters: »Auch Sie kriegen wir klein wie 'nen Floh!«
Ein Floh kann beißen … und ich habe gebissen. Auf meine Art. Ich habe mit den Fäusten an die Tür getrommelt, dann mit den Füßen, ein Konzert ist das gewesen, daß der ganze Gang dröhnte. Niemand ist gekommen. Natürlich, ich kenne ihre Taktik. Laß ihn brüllen und toben, denken sie. Einmal ist er heiser und müde, dann hört alles auf. Jedes Feuerwerk brennt nur so lange, als es Raketen im Rohr gibt. Das ist richtig gedacht, aber Polizeidenken hat wenig gemein mit Intelligenz. Ich habe sie überlistet.
Heute habe ich den Intervall-Krach erfunden.
Eine Viertelstunde mit allen Registern Rabatz, daß die Wände wackeln … dann eine halbe Stunde vollkommene Ruhe, Kräfte sammeln, tief durchatmen, die Muskeln entspannen. Nach der Pause wieder eine Viertelstunde Donnerwetter … und diesen Rhythmus immer wieder, den ganzen Tag hindurch. Man hält das durch, blendend sogar, probieren Sie es aus. Keine Müdigkeit, keine Erschöpfung, nur noch eine Steigerung des Bedürfnisses, seine in der halben Stunde gewaltig neu angestauten Aggressionen loszuwerden. Man muß es nur ganz genau nach der Uhr machen, mit Akribie, mit einer wissenschaftlichen Wut. Das entnervt die anderen.
Der Oberwachtmeister erschien viermal in meiner Zelle, brüllend, rostrot im Gesicht, mit rollenden Augen wie ein Stummfilmdarsteller. Beim fünften Besuch keuchte er: »Ich bringe Sie um!«
Und ich sagte gemütlich: »Sehen Sie, genau das dürfen Sie nicht! Ich kann nur Ordnungsstrafen bekommen, und auf die scheiß' ich! Eigentlich sollte ich Ihnen das Vergnügen machen und gegen die Wand defäkieren.«
Komisch – das half. Komisch deswegen, weil der Oberwachtmeister das Wort defäkieren anscheinend verstand. Man unterschätze wirklich nicht die Intelligenz unserer Polizei. Nach meiner Uhr war es schon 23.19 Uhr, als Kriminalrat Beutels in meiner Zelle 14 erschien.
»Bergmann«, sagte er ohne Übergang, »was höre ich? Sie wollen die Zellenwand bescheißen?«
»So urdeutsch habe ich mich nicht ausgedrückt.« Ich zeigte einladend auf meine Pritsche, aber Beutels blieb stehen. »Wie anders soll ich
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