Die duemmsten aus meiner Klasse sind Lehrer geworden
ganze Nation sehnsüchtig auf ihn wartet. Er hat keine Falten im Gesicht und ist somit Garant für Innovation, Motivation und Engagement. Selbstbewusst tritt der Jungschnösel in die Bildungsarena und wirft mit Kompetenz um sich. Er weiß auf der ersten Lehrerkonferenz zwar nicht, worum es geht, aber er schlägt erst mal eineordentliche Evaluation vor. Die erschlafften Altkollegen grinsen müde. Ihnen wäre es natürlich lieber, wenn der junge Mann sich erst mal bescheiden zurückhielte und die Knall-Chargen-Rolle spielte, die sie ihm zugedacht haben. Aber nicht mit dem Jungschnösel! Er ist die Zukunft, der Hauptdarsteller, der Macher, der Souverän. Deswegen hat er auch im Handumdrehen einen Schlüssel zum Fahrstuhl und zur Druckerei. Neidisch stecken die Altstiesel, die seit Jahren um die nötigen Schlüssel betteln, ihre Köpfe zusammen. Aber was kann der junge Mann dafür, dass die Sekretärin jedes Gespräch abbricht, wenn er um die Ecke schaut? Ihre Stimme zwitschert bei seinem Anblick gleich zwei Oktaven höher, und warum sollte er »Nein« sagen, wenn sie ihm die begehrten Schlüssel geradezu aufdrängt?
Grinsend und unrasiert blockiert er morgens den Kopierer, um in aller Ruhe das Handbuch der Methodik zu vervielfältigen. Grinsend hört er sich an, dass er nicht alle Kollegen einfach duzen darf. Grinsend lässt er anderen die Tür vor der Nase zufallen, schiebt störende Unterlagen einfach beiseite oder schmeißt seinen Rucksack mitten auf den Tisch. »Oh, sorry, das tut mir jetzt leid. Ich wusste nicht, dass in dem Papier Blumen sind. Aber die richten sich schon wieder auf, wenn man sie ins Wasser stellt.«
Er blockiert auch Internetzugänge, Beamer und Telefone. Wenn in einem Kopierer das Papier nachgefüllt werden müsste, wandert er einfach zum nächsten. Er kommt nicht auf die Idee, jemandem mitzuteilen, dass der Videorecorder defekt ist. Er hat ihn schließlich nicht kaputtgemacht. Er bedient sich gern an allen Schreibtischen, trinkt überall Kaffee mit, kommt aber nicht auf die Idee, mal selber welchen zu kochen: »Ich weiß gar nicht, wie das geht.« Eine »Blöde« findet sich immer, die die Kaffeemaschine für ihn bedient. Bezahlen tut er natürlich auch nichts: »Ach, ihr habt eine Kaffeekasse? Hab’ leider kein Kleingeld dabei.« Anhand seiner dreckigen Tassen, die er rumstehen lässt, kann man seinen Weg durchs Gebäude verfolgen. Seinen Kaffee nimmt er auch mit in den Unterricht, wo es ihn ausgesprochen amüsiert, wenn die Schüler keine Hausaufgaben haben. Seine Fehler an der Tafel findet er auch lustig. Wer legt heute noch Wert auf Rechtschreibung? Disziplinprobleme hat er keine. Schrilles Gelächter und spitze Schreie, die aus seiner Klasse dringen, sind Zeichen von Lebenslust und Lernfreude. Das kennen die alten Megären natürlich nicht, die ihm ständig reinreden. Seine Mentorin erklärt ihm jede Woche schlecht gelaunt, wie man guten Unterricht macht. Die Schulleiterin hat etwas Verzweifeltes im Blick, wenn sie beim Jungschnösel hospitiert. Auch so eine Zimtzicke wie seine Seminarleiterin. Er wüsste ja ein gutes Rezept für all diese Weiber, aber das ist nicht jugendfrei und bleibt deshalb der Phantasie der Leser überlassen! Der Jungschnösel landet eine miese Lehrprobe nach der anderen. Wenn er am Ende durchs Examen fällt, ist das natürlich nicht sein Unvermögen, sondern die Rachsucht frustrierter alter Ziegen. So wird er auch diese Glosse hier einordnen.
Der Jungschnösel muss erst noch lernen, dass bei den alten Megären das besänftigende Östrogen, das in Sachen Kinderaufzucht und Partnerschaft dienlich ist, durch befreiendes Testosteron ersetzt wird….
Die 68er sind schuld!
Der geistig-moralische Absturz
D ie Bundesrepublik sähe heute ganz anders aus, wenn mein großer Bruder damals seine Graupensuppe gegessen hätte. Aber er wollte stattdessen diskutieren: »Warum gibt es etwas zu Mittag, das keiner mag? Warum muss man alles aufessen, was einem die Mutter auf den Teller häuft? Warum darf man beim Essen nicht reden?« – In der Folgezeit verweigerte mein Bruder das Nachtgebet, ließ sich die Haare über den Kragen wachsen und stritt sich mit dem Friseur um jeden Millimeter. Trotzdem überrumpelte der ihn immer wieder mit einem Militärschnitt. Dann spielte mein Bruder in seinem Zimmer »Vatis Argumente« von Franz-Josef Degenhardt. Stundenlang. Und ganz laut. Die folgenden Jahre ließ sich mein Bruder von mir die Haare schneiden. Er saß dabei im Bad vor dem
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