Die duemmsten aus meiner Klasse sind Lehrer geworden
Klappspiegel und beobachtete jeden Handgriff.
Er wollte nicht mehr Latein und Altgriechisch lernen, sondern Gitarre. Deshalb schaffte er sein Abitur nur geradeso. Mein Vater setzte seine ganze Hoffnung auf die Bundeswehr, die seinem widerspenstigen Sohn wieder einen Seitenscheitel ziehen würde. Doch Vater konnte die »geistig-moralische Ödnis« nicht verhindern, die von meinem Bruder und von unserem Land Besitz ergriff. Mein Bruder ging nach West-Berlin. Dort sammelten sich an einer roten Kaderschmiede (so hießen damals die Universitäten…) Wehrdienstverweigerer aus allen Bundesländern und lasen statt Hermann Hesse »Das Kapital«. Mein Bruder ersetzte »Bürgerlichkeit und höfliches Benehmen durch Provokationen, Schamlosigkeit und rücksichtslosen Egoismus«, indem er unsere Eltern beim Vornamen nannte und Weihnachten nicht mehr heimkam, weil er keine Lust auf Konsumterror hatte.
Bei seinem »Versuch, die gesellschaftliche Ordnung zu zerstören«, trat er heimlich aus der Kirche aus. Meine Eltern erfuhren diesen ungeheuerlichen Vorgang über die Diözesenverwaltung. Die ganze Großfamilie debattierte über das Versagen unserer Eltern. Meine Mutter betete verstärkt für das Seelenheil ihres Erstgeborenen. Doch es half nichts. Mein Bruder zog in eine Wohngemeinschaft, in der angeblich die Türen ausgehängt waren und alle nackt herumliefen. Sein schönes Jugendzimmermobiliar von daheim wollte er nicht. Damit trug er ganz wesentlich dazu bei, dass gesellschaftlich bewährte Strukturen aufgelöst wurden und »Verbindlichkeit und Selbstaufopferung« im Familienleben auf der Strecke blieben.
Er duzte seine Professoren und verteilte vor Fabriktoren Flugblätter. Er hetzte gegen unsere Fernsehzeitung, nur weil sie von Springer war. Dem wohlmeinenden Vorschlag eines Großonkels, doch in den Osten zu gehen, folgte er nicht. Stattdessen stellte er den Paragraphen 175 so eindringlich in Frage, dass meine Eltern sich auch noch Sorgen um seine sexuelle Orientierung machen mussten. Bis er mit einer Freundin vorbeikam und mitihr in einem Zimmer übernachten wollte. Das ließen meine Eltern selbstverständlich nicht zu.
Mein Bruder wurde Lehrer an einer dieser Gesamtschulfabriken. Dabei hätte er eine glanzvolle Karriere an unserem Kleinstadtgymnasium machen können. Er fand die Gesellschaft ungerecht und wollte sie unbedingt ändern. Das Resultat seiner Bemühungen? »Intellektuelle Verwilderung, Verrohung der Sitten, Verlust von Anstand und Manieren, Egozentrik.«
Ich muss zugeben, ich habe meinen großen Bruder damals bewundert, als er seine Graupensuppe nicht aufessen wollte. Ich war froh, statt Altgriechisch gleich Französisch lernen zu dürfen, ohne zu ahnen, dass dem »intellektueller Kahlschlag« und »Mittelmaß« folgen würden. Ich fiel auf feministische Irrlehren herein und verbrannte neben unserem Komposthaufen ein, zwei Büstenhalter. Natürlich landete auch ich in Berlin, frönte einem hedonistischen Single-Dasein und half, die deutsche Ehe zu zerstören.
Mein Bruder hatte sich selber finden und ein wenig mit am Rad der Geschichte drehen wollen. Das hat mir imponiert. Wie konnte ich ahnen, was er und seine Mitstreiter wirklich im Schilde führten? Denn: »Letztendlich bereiteten die Achtundsechziger durch die Entfesselung eines zerstörenden Nihilismus und schrankenlosen Libertinismus den Boden für einen immer noch andauernden Erosionsprozess unserer Gesellschaft.«
Glücklicherweise werden die jetzt alle pensioniert und können ihr Unwesen im Schuldienst und anderswo nicht mehr fortsetzen.
Da ich weiß, dass viele, auch aufgeklärte Menschen so denken, versichere ich hier noch mal ausdrücklich, dieser Text ist eine Satire…
***
Die Zitate stammen aus dem Artikel von Jörg Schönbohm, ehemaliger CDU-Innenminister von Brandenburg: »1968 – Selbstbetrug einer Generation«, veröffentlicht am 9.3.2008 im Berliner Tagesspiegel
Weg damit!
Wenn Lehrer ausmisten
L ehrer sind manische Sammler. Was immer sie im Unterricht gebrauchen könnten, heben sie auf. Allerdings finden sie den Artikel zur trostlosen Situation der Wildkatze in Tadschikistan sowieso nicht, wenn sie ihn in Erdkunde einsetzen wollen. Aber es wäre ein Riesenfehler, vorzeitig – also vor der Pensionierung – auszumisten. Mit Sicherheit braucht man das Interview mit der buddhistischen Nonne gerade dann, wenn der entsprechende Ordner in der Altpapiersammlung gelandet ist. Weil man nie genau weiß, was man schon weggeworfen hat,
Weitere Kostenlose Bücher