Die duemmsten aus meiner Klasse sind Lehrer geworden
Sucht- und Fluchtverhalten. 3
Die erste Ferienwoche ist eine besonders kritische Phase. Viele Befragte erwähnen ein mysteriöses schwarzes Loch, in das sie nach der Zeugnisausgabe fallen. Dabei handelt es sich hauptsächlich um hyperaktive und pflichteifrige KollegInnen, die von einem Termin zum nächsten eilen: Abschlussfeiern, Fachkonferenzen, Bezirkslehrerausschüsse, sämtliche Schülerdarbietungen der Sparten Tanz, Theater und Musik, Sommer- und Sportfeste, Jubiläumsfeiern und Betriebsausflüge. Noch am letzten Schultag organisieren sie ein Grillfest für die eigene Klasse. Manche Befragten geben verlegen zu Protokoll, dass sie zu Ferienbeginn Schülerfahrten in den Heidepark Soltau oder nach Hannover durchführen.
Große Probleme bereitet die erste Ferienwoche auch den von Prokrastination Befallenen. Sie fühlen sich vom Berufsalltagso belastet, dass sie alles andere monatelang vor sich herschieben: Steuererklärungen, Arztbesuche, die Pflege sozialer Beziehungen. Ihre Standardreaktion: »Lass uns in den Ferien telefonieren. Da habe ich Zeit.« Viele verschieben sogar Migräneanfälle und Krankheiten in die Ferien. Auf diese Lehrkräfte wartet eine solche Flut von Terminen und Pflichten, dass die Betroffenen darunter zusammenbrechen.
Nicht wenige Lehrkräfte neigen in den Sommerferien zu groteskem Fluchtverhalten, wenn es um schulpflichtige Kinder geht. Auf Reisen lassen sie sich weit entfernt von Schulklassen anderer (Bundes)Länder nieder, notfalls hinter dem Schornstein einer Fähre oder im Gepäckwagen der Deutschen Bahn. Lehrkräfte mit Fluchtdrang neigen zu hysterischen Anfällen, wenn sie in einem tschechischen oder portugiesischen Dorf die örtliche Schule entdecken.Während die normale (= abgebrühte) Lehrkraft angesichts fremder Kollegen, die sich in der Öffentlichkeit mit Schülern abmühen, eher zur Schadenfreude neigt, suchen LehrerInnen mit Helfersyndrom geradezu den Kontakt mit Berufsgenossen. »Io sono anche professore!«, versuchen sie dem italienischen Kollegen im Forum Romanum aufgeregt mitzuteilen. Sie regeln den Verkehr, damit der Schülertrupp unbeschadet über die Via Veneto kommt. Sie helfen in Museen und Gedenkstätten mit Äußerungen wie »Kaugummi raus!« oder »Finger weg von den Ausgrabungsgegenständen!«
Viele Lehrkräfte klagen in der Studie über Alpträume, die sie in den Sommerferien heimsuchen. Einem männlichen Kollegen saß jede Nacht der Schulleiter auf der Brust. Bei einem anderen verwüsteten Schülerhorden Rosengarten und Weinkeller. Besonders belastete einen älteren Kollegen der Traum, dass seine Lebensarbeitszeit um zehn Jahre verlängert wurde. Eher harmlos nehmen sich dagegen die Alpträume von Frauen aus: Sie verwechseln die Wochentage, kommen zu spät oder völlig unvorbereitet in die Anstalt.
Workaholics sammeln und trocknen in den Sommerferien alles, womit sie meinen, Schüler im Fachunterricht erfreuen zu können: Steine, Muscheln, Pilze und Wildblumen, Landkarten und Bildmaterial. Selbst in Colorado spüren sie ein Fachgeschäft auf, das interessantes Schulmaterial anbietet. Klaglos bezahlen sie Übergepäck und Zollgebühren. Der krankhafte Sammeltrieb setzt sich am Heimatort fort: Endlich Zeit undGelegenheit, mit der Sackkarre bei allen Schulbuchverlagen vorzufahren.
Ist es den einzelnen Problemgruppen der Studie gelungen, die eigene Mitte zu finden und sich zu erden, sind die Sommerferien schon fast wieder vorbei. Darunter leiden vor allem schulferne Verwandte und Bekannte. Jedes Gespräch dreht sich nur noch um traumatische Erlebnisse mit Schülern und deren Eltern. Diese kommunikative Erkrankung führt häufig zu sozialer Isolation.
Die Brösel-Eimer-Studie erwähnt am Rande auch Problemgruppen, die sich in den Sommerferien heimlich fortbilden oder ihren Arbeitsplatz schon lange vor offiziellem Schulbeginn aufsuchen, um Lektüren zu bunkern, Arbeitsblätter zu kopieren oder den Klassenraum zu streichen. Da solche Lehrkräfte unter ihren Krankheitssymptomen subjektiv nicht leiden, widmet die Forschung ihnen allerdings wenig Aufmerksamkeit.
Offenbar ist die neue Brösel-Eimer-Studie schon in falsche Hände geraten. Gerüchte behaupten, dass die Schulverwaltung Niedersachsens bereits überlegt, die Sommerferien um drei Wochen zu verkürzen.
3 Brösel / Eimer u.a.: »Von der Schuldistanz zur Sinnkrise. Eine Studie zur Lehrergesundheit«, Ilskirchen 2012)
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