Die Duftnäherin
beiseite und kehrte in seine Unterkunft zurück. Eilig zurrte er sein Bündel mit den wenigen Habseligkeiten zusammen und ging dann zur Hauswirtin, um bei ihr die Wegzehrung für die ersten zwei Tage zu erstehen. Er hatte sparsam gelebt und noch immer genug Münzen übrig, um eine geraume Weile in der Stadt bleiben zu können. Er hielt in seiner Bewegung inne. Und wenn er nur einmal etwas Verbotenes täte? Wenn er sich einen guten Rheinwein gönnte, von dem man sagte, dass er auf der Zunge zu tanzen begann und der Gaumen sich noch Stunden nach dem einmaligen Genuss an diesen erinnern würde? Wütend zwang er sich zur Ordnung. Schon allein der Gedanke daran war Teufelswerk. Der Höllenfürst suchte ihn zu verführen und hätte ihn doch tatsächlich fast dazu gebracht, eine Sünde zu begehen. Ein Augenblick der Schwäche, den er zu beichten schwor. Mit Freude würde er die Geißelung hierfür in Kauf nehmen. Rasch straffte er seinen Körper, hob sein Bündel an und stieg die steilen Stufen hinab. Sobald er seine Wegzehrung erhalten hätte, würde er schleunigst aus dieser verruchten Stadt verschwinden, in der die Versuchung selbst vor Novizen nicht haltmachte.
»Es ging uns noch nie so gut, nicht wahr?« Anderlin ließ zärtlich seine Hand auf Margrites wohlgeformtem Hinterteil ruhen. Seit sie wieder in Bremen waren, hatte es nur wenige Nächte gegeben, in denen sie nicht die Schlafstatt miteinander geteilt hatten und am Morgen gemeinsam erwacht waren. Er genoss diese frühen Stunden, in denen der Tag noch nicht gekommen und seine Geliebte eine ganz andere Frau war. Hier in dieser Kammer war sie leidenschaftlich und zärtlich zugleich. Sie war ein Weib, das noch nicht mit fester Stimme ihre Dienerschaft anwies und auf dem Markt den schroffsten Umgangston pflegte, um nicht übervorteilt zu werden. In diesen Stunden war sie nur seine Margrite, und er wünschte, das Licht des Tages möge nie durch die schmalen Ritzen der hölzernen Fensterläden dringen.
Margrite seufzte glücklich auf. »Du hast recht. So schön hatten wir es noch nie.« Sie machte eine kurze Pause, bevor sie weitersprach. »Vielleicht sollten wir nicht mehr von hier fortgehen.« Sie hielt den Atem an, ängstlich, ob der Mann, mit dem sie Nacht für Nacht das Bett teilte, sie zurückweisen würde.
Doch Anderlin nahm sie in den Arm und zog sie fest an sich. »Das habe ich mir auch schon überlegt, dachte dann aber, es wäre dir nicht recht.«
Sie stemmte sich hoch. »Mir nicht recht? Wie kommst du denn darauf?«
Er drehte sich auf den Rücken und starrte an die Decke, die er im noch dunklen Raum nur schemenhaft ausmachen konnte. »In den vergangenen Jahren wollten wir immer nur so viel Geld wie möglich anhäufen. Hier in Bremen haben wir unser Auskommen, doch auf unseren Reisen können wir doppelt so viel verdienen.«
»Das ist wahr.«
Anderlin tastete nach ihrer Hand. »Aber brauchen wir überhaupt so viel Geld?«
»Für mich könnte es so bleiben, wie es jetzt ist.« Margrites Stimme klang verletzlich. Anderlin war sich nicht sicher, doch ihm schien, als würde sie weinen. Er drehte sich ihr wieder zu und umfasste sie leidenschaftlich. »Ich liebe dich, Margrite.«
»Aber …«
Er legte ihr zärtlich den Finger auf die Lippen. »Sag jetzt nichts, bitte. Sonst werde ich diese Worte niemals herausbringen und es ewig bereuen.«
Sie schwieg. Hunderte Male hatte sie unter ihm gelegen. Doch so nah wie in diesem Moment waren sie sich in all den Jahren noch nie gekommen.
»Ich liebe dich«, setzte er erneut an, »wie man einen Menschen nur lieben kann. Ich liebe dich seit so vielen Jahren, aber ich wusste immer, dass du nicht das Gleiche für mich empfindest.«
Sie wollte protestieren, doch der Druck seines Fingers auf ihrem Mund verstärkte sich und zwang sie dazu zu schweigen.
»Ich weiß, warum du niemanden an dich heranlassen wolltest. Ein Mann, der früher in deinem Dorf gelebt hat, erzählte mir eines Tages, was dir dort widerfahren ist.«
Margrites Herz hämmerte heftig gegen ihre Brust, doch sie sagte kein Wort.
»Du bist eine Frau, wie sie herzlicher und aufrichtiger nicht sein kann. Was dir geschehen ist, tut mir unendlich leid. Für ein Kind sind wir zwar beide schon zu alt, doch wenn du dich mir anvertrauen willst, schwöre ich dir bei allen Heiligen, dass ich dich bis ans Ende unserer Tage lieben werde.« Er schluckte schwer. »Mir ist klar, dass du mich nicht ehelichen kannst, da du vor Gott einem anderen dein Wort gegeben hast.
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