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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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in die Zukunft blicken zu können. Genauso wie sich auch ihr Leben nach all den Jahren der Verzweiflung, Angst und Demütigungen in Bremen noch einmal komplett gewandelt hatte.
    Sie sah Gawin mit eiligen Schritten um die Hausecke verschwinden, beschloss, sich nicht den Tag von ihm verderben zu lassen, und stieß mit Schwung die Tür zum Haus ihres Großvaters auf. Esther erwartete sie bereits auf dem oberen Korridor und stieg nun mit schnellen Schritten die Stufen hinab.
    »Da bist du ja. Ich habe schon auf dich gewartet.« Sie umarmte Anna, sobald sie die Freundin erreicht hatte.
    »Ist etwas geschehen?«
    Esther schüttelte den Kopf, hakte sich bei Anna ein und drängte sie Richtung Tuchzimmer. »Nein, das nicht. Aber ich bin heute früh wieder nach einer Nacht voller Alpträume erwacht.«
    »Das dachte ich mir schon. Deshalb habe ich dir auch etwas Besonderes mitgebracht.« Sie griff in ihren Korb und zog den Beutel mit den kandierten Früchten hervor. »Hier. Wenn deine Zunge dies schmeckt, wird die Nachwirkung deiner schlechten Träume im Nu verschwinden.«
    Esther nahm die Süßigkeit mit einem dankbaren Lächeln entgegen und öffnete die Tür zum Nähzimmer. »Kann ich dir vielleicht bei der Arbeit helfen? Ich kann nähen, und wenn du mir sagst, was ich machen soll, kann ich dir gewiss zur Hand gehen.« Sie steckte sich eine Frucht in den Mund und schloss genüsslich die Augen. »Möchtest du auch?«
    »Da sag ich nicht nein.« Anna stellte zufrieden fest, dass ihr Plan aufgegangen war. Ein Lächeln hatte den Weg in das Gesicht der Jüngeren gefunden.
    »Wenn du mir helfen willst, freue ich mich. Hast du bei dir zu Hause auch genäht?« Sie griff nochmals zu und holte sich eine weitere Süßigkeit heraus.
    »Nur gelegentlich. Ich habe mehr gestickt.«
    Bei diesen Worten kam Anna ein Gedanke. »Vielleicht solltest du dann auch jetzt nicht nähen, sondern eher Verzierungen vornehmen. Für die feinen Damen, für die wir die Gewänder fertigen, können die Kleider, die sie tragen, gar nicht aufwendig und außergewöhnlich genug sein.«
    »Wenn du mir das zutraust?«
    »Warum nicht? Ich bin sicher, dass du ebenso gut sticken kannst wie ich nähen. Stell dir nur vor, was für wunderbare Kleider wir fertigen werden.« Sie griff glücklich nach Esthers Händen, verzog dann aber das Gesicht. »Zuvor sollten wir uns jedoch erst einmal den klebrigen Zucker von den Früchten abwaschen, bevor wir die Stoffe damit anfassen«, meinte sie gutgelaunt, und Esther stimmte gelöst in ihr Lachen mit ein.

    Er war ihr nachgeschlichen, bis sie in dem großen Haus verschwunden war. Schon seit Wochen hatte er sie beobachtet und war nun sicher, dass sie in Bremen bleiben würde. Für ihn war damit der Zeitpunkt gekommen, zu Bruder Hermannus zurückzukehren und ihm Bericht zu erstatten. Nur wenige Tage nach Stephans Rückkehr aus Lünen hatte sein Mentor feststellen müssen, dass die junge Frau aus dem Keller verschwunden war. Sogleich hatte Hermannus ihn angewiesen, sie wieder aufzuspüren. Stephan hatte gehorcht und zu seinem großen Glück immer nur geradeaus dem Weg nach Norden folgen und danach fragen müssen, ob jemand die junge Frau und ihren möglichen Begleiter gesehen hatte. Die Schönheit der Frau war so auffällig, dass sich einfach ein jeder an sie zu erinnern vermochte. Sogar einer der Wachleute am Bremer Stadttor wusste sofort zu sagen, dass sie nur einen Tag zuvor durch das selbige in die Stadt gekommen war. Nur um sicherzugehen, dass sie ihr Ziel erreicht hatte und sich nach einer gewissen Zeit nicht wieder auf die Reise machte, war er noch mehrere Wochen lang in Bremen geblieben. Doch nun würde er die Stadt wieder verlassen. Jeden Tag ging sie die gleichen Wege, traf sich mit denselben Leuten und erledigte Besorgungen. Sie hatte hier ihren Lebensmittelpunkt aufgeschlagen, dessen war er gewiss, und ihm wurde wehmütig ums Herz bei dem Gedanken, das pulsierende Leben der Stadt erneut gegen die Ödnis des Klosters eintauschen zu müssen. Doch dort war sein Heim und sein Platz. Es stand ihm nicht zu, dagegen aufzubegehren. Und er wollte auch Bruder Hermannus nicht enttäuschen, wenngleich er sich immer mehr fragte, was dieser gegen die junge Frau haben mochte, die seinen Beobachtungen nach all die Wochen über nichts Verwerfliches getan hatte. Doch es musste einen Grund geben, selbst wenn ihm immer wieder Zweifel daran kamen, denn sonst hätte sein Ziehvater ihm wohl kaum diesen Auftrag erteilt.
    Er schob den Gedanken

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