Die Duftnäherin
weißt doch besser als jeder andere, was in dieser Stadt vor sich geht.«
Siegbert schüttelte den Kopf. »Dass Gawin etwas mit der Sache zu tun hat, ist ausgeschlossen.«
»Kannst du dir da so sicher sein?«
Von Goossen straffte seinen Rücken und faltete die Hände vor seinem Bauch. »Wie meinst du das, Heinrich?«
»Bitte, Siegbert, ich bin dein Freund, daran zweifle bitte nicht. Doch dein Enkel war lange weg. Du hast ihn ja nicht einmal erkannt, als wir ihm im Rathaus das erste Mal begegnet sind, erinnerst du dich? Jordan hat euch erst miteinander bekannt machen müssen, bevor dir klarwurde, wer er überhaupt ist. Wie viel weißt du also wirklich über ihn? In der Tat genug, um nur auf sein Wort zu hören und die Aussagen anderer außer Acht lassen zu können?«
»Du hast recht. Gawin ist noch nicht lange in Bremen. Und ich war ihm kein guter Großvater, so wenig Kontakt, wie wir hatten.«
»Wenig? Wohl eher gar keinen. Ich bin einer deiner engsten Freunde, und ich wusste nicht einmal, dass du einen Enkel hast.«
»Aber ich habe ihn gestern Abend gesehen, als er heimkam, nachdem er den armen Jordan gefunden hatte. Und ich bin lange genug auf dieser Welt, um Unehrlichkeit zu erkennen, wenn ich ihr begegne. Und das, was aus den Augen dieses Jungen sprach, war eindeutig Trauer, Entsetzen und Wut über den Tod eines geliebten Menschen. Da war kein Schein und kein Trug. Das schwöre ich bei meiner Seele.«
Der Bürgermeister seufzte laut. »Und da bist du dir ganz sicher?«
»So wahr ich hier stehe, Heinrich!«
Doneldey musterte ihn eine Weile, ohne etwas zu sagen. Schließlich schien er zu einem Ergebnis gekommen zu sein. »Dann, mein lieber Siegbert, haben wir einen dreisten und kaltschnäuzigen Lügner dort oben im Schreibzimmer sitzen, der bei allen Heiligen schwört, dass dein Enkel ein kaltblütiger Mörder ist.«
»Lass uns zu ihm gehen.« Siegbert hob beschwichtigend die Hände. »Ich werde kein einziges Wort sagen, nur zuhören. Aber ich möchte ihm in die Augen blicken, diesem Kerl, der einen jungen, unschuldigen Mann ohne Skrupel an den Galgen bringen will.«
»Dann komm.«
Sie stiegen gemeinsam die Stufen hinauf, ohne sich weiter darum zu kümmern, dass noch immer der gesamte versammelte Rat im Saal auf ihre Rückkehr wartete. Vor der Schreibstube blieben sie stehen.
»Du lässt mich reden, hast du gehört?«
Siegbert nickte schweigend, klopfte kurz an die Tür und öffnete sie dann. Der Schreiber setzte soeben das Bremer Siegel unter das verfasste Schriftstück und sah auf.
»Meine Herren? Wir sind bereits fertig. Möchten Sie das Protokoll einsehen?«
Von Goossen trat einen Schritt vor, griff nach dem Papier und musterte dabei eindringlich den jungen Mann, der dem Schreiber gegenübersaß und soeben seine Aussage gemacht hatte. Er war in Versuchung den Fremden anzusprechen, spürte jedoch den Blick Bürgermeister Doneldeys in seinem Rücken und besann sich des Versprechens, das er gegeben hatte.
Mit dem Papier in der Hand lehnte er sich an die Wand und las in aller Ruhe Zeile für Zeile. Dabei bemerkte er, dass der Zeuge ihn musterte und dabei mit seinen Fingern herumzuspielen begann.
»Geht es dir gut, Junge?« Eindringlich sah Siegbert ihn an. Als Antwort erhielt er ein heftiges Nicken.
Heinrich Doneldey trat an seine Seite und überflog die geschriebenen Zeilen.
»Und das alles bist du bereit, bei einer Verhandlung auf dem Marktplatz zu wiederholen, ja?«, übernahm er es nun, den Zeugen zu befragen.
»Auf dem Marktplatz?«, stammelte der Angesprochene.
»Ja, auf dem Marktplatz«, bestätigte der Bürgermeister. »Wo sonst? Ein Mord wird immer auf dem Marktplatz verhandelt und vollstreckt.« Doneldey nahm das Schriftstück in die Hand und las es nun seinerseits noch einmal durch. »Und die anderen, die du hier namentlich zu Protokoll gegeben hast, müssen dies ebenfalls tun. Als Einwohner dieser Stadt wirst du das doch wissen?«
Unruhig zappelte der Zeuge auf seinem Stuhl hin und her. Hatte er ein schlechtes Gewissen, oder fühlte er sich nur allgemein unwohl bei dem Gedanken, mit seiner Aussage einen Menschen an den Galgen zu bringen? Doneldey wusste es nicht zu sagen, warf Siegbert jedoch einen vielsagenden Blick zu.
»Dann sind wir hier fertig«, stellte der Bürgermeister fest und gab von Goossen einen Wink, mit ihm das Schreibzimmer zu verlassen.
Kaum dass sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, griff Heinrich nach dem Arm des Freundes. »Geh du jetzt nach Hause und
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