Die Duftnäherin
Bürgerinnen und Bürger in ihren Häusern blieben.
»Ist ja wie ausgestorben«, bemerkte Bruder Hermannus.
»Ja, war schon mal mehr los. Die haben wohl nur darauf gewartet, dass wir zurückkommen und hier wieder ein bisschen für Stimmung sorgen.« Helmes Gesicht verzog sich zu einer feixenden Grimasse. »Lass uns zusehen, dass wir irgendwo vernünftig unterkommen. Wird ja nicht überall so trostlos sein wie in den leeren Gassen hier.«
»Womöglich wäre es unklug, eine Schänke in der Nähe des Marktplatzes zu wählen. Die Unterkünfte am Hafen sind fast ebenso gut, aber weiter entfernt von den Stadtoberen.«
Bruder Hermannus deutete auf das Gebäude, das sie gerade passierten. Helme folgte seinem Fingerzeig und blickte zum Rathaus hinauf.
»Dort oben werden sie wohl gerade sitzen, die fetten Geldsäcke, und über Recht und Ordnung entscheiden.« Er spuckte auf den Boden. »Wenn wir die kleine Hure in dem stattlichen Patrizierhaus, das uns dein Novize beschrieben hat, erst einmal gefunden haben und mit ihr fertig sind, könnten wir uns für den einen oder anderen von ihnen auch noch etwas einfallen lassen. Wenn es unsere Zeit dann noch erlaubt«, fügte er jovial hinzu, während im oberen Stockwerk soeben krachend ein Fenster geschlossen wurde.
Im Rathaus drehte sich Siegbert wieder zu den anderen Ratsherren um, nachdem er das offen stehende Fenster mit Schwung geschlossen hatte.
»Wir müssen die Verantwortlichen so schnell wie möglich dingfest machen!« Wütend stapfte er zu seinem Platz rechts neben Bürgermeister Doneldey zurück. Dieser legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Unterarm.
»Du hast recht, Siegbert. Jeder Einzelne von uns ist deiner Meinung. Doch müssen wir mit Bedacht vorgehen. Nicht alle Bürger der Stadt sind der Auffassung, dass mehr hinter den Meistermorden steckt als das völlig aus dem Ruder gelaufene Toben einiger betrunkener Diebe.«
»Und ich sage, dass wir die Verantwortlichen in den Aufrührerkreisen um den Lautzer suchen müssen. Dort sind wir richtig.« Von Goossen ließ seine flache Hand auf die Tischplatte sausen. »Habt ihr die Reden dieses Mannes denn verfolgt? Er will Macht, und das eben nicht nur für die Meister. Nein!« Siegbert schüttelte energisch den Kopf. »Die Gesellen wollen im Rat ebenfalls ein Wörtchen mitreden. Als ob ein Gerbergeselle etwas von Führung und Ordnung verstände.«
»Doch was, wenn wir eine Verschwörung vermuten, wo gar keine ist? Womöglich würden wir die Sache, indem wir ihr mehr Bedeutung zumessen, als sie hat, dadurch sogar noch befördern?« Die Worte Doneldeys wurden vom zustimmenden Nicken der Anwesenden begleitet.
Da klopfte es heftig an der schweren Eichentür zum Sitzungssaal.
»Ja?«
Ein Bote, der zufolge seines roten Gesichts gerannt sein musste, betrat den Raum. »Ich soll vermelden, es gibt Zeugen! Einer von ihnen sitzt beim Schreiber und macht gerade seine Aussage über den schändlichen Mörder.«
»Ich komme!« Doneldey war aufgesprungen und ging zur Tür. »Wartet hier auf mich, ihr braven Herren. Sobald ich etwas weiß, werde ich euch Nachricht geben.«
Als er einige Zeit später den Saal wieder betrat, wirkte sein Gesicht aschfahl. »Siegbert! Würdest du kurz zu mir herauskommen?«
Sofort stand von Goossen auf. Obwohl er vom Verhalten des Bürgermeisters äußerst beunruhigt war, schritt er ruhig an den Ratsherren vorbei auf den Flur hinaus. Wer ihn nicht sehr gut kannte, merkte ihm die Unruhe, die von ihm Besitz ergriffen hatte, nicht an.
Sorgfältig prüfte Doneldey, ob die Tür hinter seinem Freund auch wirklich ins Schloss gefallen war, bevor er sich an Siegbert wandte.
»Es gibt einen Verdacht, wer für die Morde verantwortlich sein soll.«
»Sehr gut! Wer ist es?«
»So wirst du gewiss nicht mehr sprechen, sobald du den Namen erfahren hast.« Doneldey machte eine kurze Pause. »Der Lehrjunge des alten Jordan, dein Enkel Gawin, ist des Mordes beschuldigt worden.«
»Was für ein Unsinn!«, donnerte Siegbert los. »Wer kann denn so etwas behaupten? Ich will selbst mit dem Kerl sprechen.«
»Das ist nicht so einfach, Siegbert, das weißt du genau. Wir müssen achtgeben, dass nicht der Verdacht der Einflussnahme auf uns fällt. Du musst dich von dem Zeugen fernhalten, und zwar während der gesamten Untersuchung. Sowohl von dem, der gerade seine Aussage macht, als auch von den anderen.«
»Ja, bist du denn …?«
»Siegbert! Bitte nimm Vernunft an!«, beschwor ihn Doneldey eindringlich. »Du
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