Die Duftnäherin
Bürgermeister nach, »gleich noch drei weitere Meister dem Allmächtigen zuzuführen? Denn für die Zeit danach gibt es Zeugen.«
Advokat Scheller zuckte fast unmerklich zusammen. Er selbst hätte diese Frage nicht gestellt, um dem Lautzer nur ja keine Vorlage für lange Reden zu geben. Er ahnte, was nun kommen würde.
»Ja, seht ihr denn nicht, was hier geschieht, ihr braven Bremer?« Er quetschte sich durch die Menge, bis er direkt vor dem Podium angekommen war. Einige der Umstehenden hievten ihn hinauf. Kaum dass er festen Stand hatte, erhob er laut die Stimme.
»Jeder hier weiß, wer ich bin und was ich fordere! Doch habe ich je dazu aufgefordert, sich mit Gewalt zu holen, was uns rechtmäßig zusteht? Nein!« Er zeigte mit dem Arm auf Gawin. »Er dort, die arme verirrte Seele, die jeder von uns nur bedauern kann, er ist dagegen derjenige, der zu allem bereit war. Auch ich bin zu allem bereit, ja! Aber nicht auf diese Weise!«
Er schritt auf dem Podest auf und ab, rempelte Hanno dabei an und murmelte eine Entschuldigung. Doch seine Augen warfen ihm einen kurzen drohenden Blick zu.
»Und als er danach wieder aus seinem Wahn erwachte, blutbesudelt, und ihm klarwurde, was er getan hatte, fragte er sich, wie er von dem Verbrechen ablenken könnte, das er an dem armen Meister Jordan verübt hatte, und tötete weiter und weiter und weiter.«
»Das reicht jetzt!«, schnauzte Doneldey.
»Die braven Bremer hier haben ein Recht zu erfahren, wie es sich zugetragen hat«, blaffte der Lautzer zurück.
»Lasst ihn reden!«, forderte eine Stimme aus der Menge, der sich sogleich weitere anschlossen.
Doneldey seufzte tief, während die Lippen des Lautzers ein triumphierendes Lächeln umspielte. Das war der Augenblick, auf den er gewartet hatte.
»Ich glaube nicht, dass dieser Gawin ein schlechter Mensch ist.« Der Lautzer machte einen betroffenen Eindruck. »Und, ich weiß, ihr werdet erschrecken, aber ich kann ihn sogar verstehen!«
Verstörte Rufe wurden laut.
Beschwichtigend hob der Redner die Hände. »Habt auch ihr, brave Bremer, Mitgefühl für ihn in eurem Herzen, ich flehe euch an!« Wieder deutete er mit dem ausgestreckten Arm auf Gawin. »Können wir ihm wirklich die Verzweiflung, die in ihm steckte, zum Vorwurf machen? Ich sage euch, nein, wir können es nicht! Dieser Lehrbursche wollte nichts anderes als das, wofür auch ich seit langer Zeit schon kämpfe. Wir Gesellen und Lehrburschen, wir einfaches Volk, die wir aus eurer Mitte kommen, wir wollen Anerkennung! Wir wollen Rechte! Wir wollen spüren, dass unser Schaffen zu einem Teil auch uns selbst zugutekommt!«
Er peitschte die Menschen mit seinen Worten auf, und immer mehr unterstützten ihn, pflichteten ihm bei. Wieder hob er die Arme und brachte die Menge zum Schweigen.
»Ich bin mir sicher, dass er nicht ganz bei Sinnen war, als er die schrecklichen Taten beging. Und der Teufel selbst wird ihm danach eingeflüstert haben, andere dafür bezahlen zu lassen. Deshalb lasst uns weder dem Burschen Hanno, der zu einem falschen Geständnis bereit ist, noch der Bürgerin Margrite oder ihrem Begleiter zürnen. Sie wussten es nicht besser.«
Wieder zustimmendes Gemurmel.
»Nur …«, erhob er laut die Stimme, »… nur eines dürfen wir nicht vergessen. Dass die Meister tot sind und dass dafür der Angeklagte dort oben bestraft werden muss, so schrecklich dies auch immer sein mag!«
Erschöpft ließ er die Schultern sinken, sah kopfschüttelnd zu Boden und ließ sich kraftlos vom Rande des Podests nach unten gleiten. Zwei Männer halfen ihm, sicheren Stand zu finden.
Anna begann zu zittern. Der Auftritt des Lautzers hatte die Hoffnung, die kurz zuvor in ihr aufgestiegen war, mit einem Schlag zerstört. Er hatte Gawins Schicksal besiegelt.
Doch da hob Hanno, der während der Rede des Lautzers keinerlei Reaktion gezeigt hatte, den Kopf, und sein Blick traf den des Lautzers, der ihm eine zweite, stille Warnung sandte. Eben noch mut- und antriebslos, spürte er auf einmal eine gewaltige Wut in sich aufsteigen.
»Du elender Lügner!«, brüllte Hanno aus vollem Hals und kam damit dem Advokaten Scheller zuvor, der gerade etwas sagen wollte.
»Sieh dich vor, was du sagst!«, zischte der andere darauf gefährlich leise zurück.
»Das werde ich nicht!«, schnauzte Hanno zurück. »Ich werde nicht länger die der Lüge bezichtigen, die reinen Herzens sind.«
Der Advokat, der fast auf gleicher Höhe stand, atmete geräuschvoll aus.
»Und ich werde mich nicht
Weitere Kostenlose Bücher