Die Duftnäherin
Gedanken, deren Peiniger erneut über den Weg zu laufen, alles andere als wohl war, war ihrer Stimme deutlich anzuhören.
Anderlin ballte seine Rechte zu einer Faust und reckte sie gen Himmel. Doch bevor er etwas sagen konnte, erklärte Margrite: »Wenn er wirklich hier sein sollte und wir ihn sehen, werden wir den Mord dem Stadtvogt anzeigen.«
Anderlin schien überrascht. »Nein, den Kerl kaufe ich mir selbst«, stellte er klar.
»Das wirst du nicht tun!«, fuhr sie ihn schroff an. »Nicht nur, dass das Schwein unberechenbar ist. Wir müssen ihm allein schon deshalb beim Vogt zuvorkommen, damit er den Spieß nicht umdreht und
uns
mit der Behauptung anzeigt, wir würden gemeinsame Sache machen, und nicht er, sondern wir hätten Cecilie so zugerichtet.«
»Wie kommst du darauf? Warum sollte er so etwas tun?«
»Weil er ein Widerling ist«, erkannte Margrite. »Und verschlagen obendrein. Und so, wie Cecilie zugerichtet war, hat er anscheinend Übung im Töten. Der wusste genau, was er tat.«
Nach dieser Erklärung schwieg Anderlin. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte Margrite zu widersprechen. Doch im Stillen nahm er sich vor, sich den Mörder vorzuknöpfen, sobald er in sein Blickfeld geriet.
»Dort vorn ist eine Schänke«, sagte Wolfker. »Es könnte nicht schaden, schon jetzt nach einem Lager zu fragen. Wahrscheinlich werden die anderen Händler erst in ein paar Stunden eintreffen. Also stehen unsere Aussichten gut, heute Nacht noch ein Dach über den Kopf zu kriegen.«
Anderlin nickte und steuerte seinen Ochsenkarren zu dem Wirtshaus hinüber. Die Tür stand offen, und aus dem Innern des Gebäudes drang eine Frauenstimme, die fröhlich ein Liedchen vor sich hin trällerte.
Anderlin trat ein und räusperte sich.
»Seid gegrüßt, Frau. Wo ist der Wirt?«
»Fort. Was willst du?«
»Wir sind zu sechst. Nein, zu fünft«, korrigierte er sich schnell. »Wir brauchen eine Unterkunft für die Nacht und etwas zu essen.«
»Seid ihr zum Markt gekommen?«, wollte die Frau wissen, nachdem die anderen nun ebenfalls hinter Anderlin in die Wirtsstube getreten waren.
Anderlin nickte.
»Aber bezahlt wird gleich.«
»Zeig uns die Kammer und tische uns auf. Dann erhältst du deinen Lohn.«
Sie blickte mürrisch drein, bedeutete ihnen, ihr zu folgen, und führte sie eine Stiege hinauf, deren Holz unter jedem ihrer Schritte ächzte.
»Frisches Stroh ist im Stall, wenn ihr wollt.«
Oben angelangt, ging Binhildis zielstrebig in eine Ecke des Raumes, schob dort das mit Binsen vermischte Stroh beiseite und häufte es ein Stückchen weiter entfernt auf.
»Ich gehe zum Stall und hole frisches Stroh. Dieses hier stinkt und ist so verlaust, dass auch das Katzenfell nichts dagegen ausrichten kann.« Sie deutete auf den kleinen Umhang, den sie am Hals trug. Margrite blickte sie an. Sie bezweifelte, dass der Überwurf auch nur eine Laus weniger beherbergte als das miefende Stroh, sagte jedoch nichts. Das Fell schien Binhildis’ ganzer Stolz zu sein und sie an bessere Zeiten zu erinnern. Ein Gefühl, das Margrite aus eigener Erfahrung nur allzu gut kannte. »Ich komme mit dir«, sagte sie schnell, stieg zusammen mit Binhildis wieder die Stufen hinab und zog sie durch die Hintertür ins Freie.
Der Stall befand sich direkt an der Rückseite des Gasthauses und war von diesem nur durch einen kurzen, matschigen Weg getrennt. Seine Tür war nur angelehnt. Margrite schob Binhildis hinter sich und schlug die Pforte mit Schwung auf. Der Geruch, der ihnen entgegenschlug, verriet, dass hier früher Schweine gehalten worden waren. Margrite machte einen Schritt nach drinnen und nahm dabei eine schnelle Bewegung aus den Augenwinkeln wahr: Jemand versuchte sich zu verstecken. Sofort sah sie sich eilig nach einem Gegenstand um, der ihr als Waffe dienen könnte.
»Komm raus, oder ich schlag dir hiermit den Schädel ein«, schnauzte sie, kaum dass sie sich eine an der Wand stehende Schaufel gegriffen hatte und deren Blatt mit einem scheppernden Geräusch flach auf den Boden schlug.
Vorsichtig bewegte sich das Stroh in der hinteren Ecke. »Habt Erbarmen mit einem Krüppel«, bat eine schwache Stimme, und zaghaft lugte ein Gesicht hervor. Ein Lächeln spielte um Margrites Lippen, als sie den Spielmann erkannte, der zuvor die Bürgersfrau um ihre Münzen gebracht hatte. Er richtete sich auf und streifte sich mit der rechten Hand Strohhalme und Spelzen von seiner Jacke, deren linker Ärmel noch immer leer an ihm herunterbaumelte. Binhildis
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