Die Duftnäherin
sie tragen konnte, und huschte aus dem Stall. Der Bursche suchte nach Worten, doch bevor er noch etwas sagen konnte, verließ auch Margrite den ehemaligen Schweinekoben.
Draußen begegneten sie Anderlin.
»Die Wirtin sagt, dass wir den Ochsenkarren im Stall unterstellen können. Sie sperrt in der Nacht die Tür ab.«
Margrite blickte missmutig drein. »Da drin gibt’s Ratten«, sagte sie laut. »Ratten von der Sorte, die nicht viel Gutes übrig lassen, wenn man nicht aufpasst.«
Anderlin zog die Augenbrauen in die Höhe. »Dann sage ich Wolfker und Otto, dass sie die Waren nach oben in die Kammer schaffen sollen.«
Margrite nickte, trat an Anderlin vorbei und wollte eben wieder durch die Hintertür ins Wirtshaus zurückkehren, als er ihren Arm fasste und sie zurückhielt. »Alles in Ordnung mit dir?«
Sie seufzte. »Aber ja. Ich bin nur müde«, wiegelte sie ab, zog Anderlin ins Gasthaus hinein und schlug die Tür fester zu, als sie es geplant hatte.
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11 . Kapitel
E s war nicht nur die klamme Luft und die Angst, wie es weitergehen sollte, die Anna fast den Atem raubten. Viel mehr lähmte sie der Umstand, eingesperrt zu sein. Nervös pulte sie an ihren Fingernägeln. Quälende Erinnerungen stürmten auf sie ein. Im Loch, wie sie das Gefängnis daheim bei ihrem Vater nannte, hatte sie oft endlose Tage und Nächte verbringen müssen. Sie war noch klein gewesen, als er sie erstmals dort eingesperrt hatte. Weswegen, wusste sie nicht mehr. Wegen einer Kleinigkeit wahrscheinlich, oder aber einfach nur aus einer Laune heraus. Es schien ihr, als hätte er ihr Jammern und Wehklagen, wenn er ihr mit dem Loch drohte, mehr genossen als einen guten Tropfen Wein. Das Loch war nichts weiter als ein kleiner tiefschwarzer Raum, der in den Erdboden des Hauses gegraben worden war und zu dem nach Öffnen einer Bodenluke eine steile Holzstiege hinabführte. Helme nutzte ihn, um die im Auftrag des Meiers geschossenen Tiere so lang darin aufzuhängen, bis er sie ausweidete und ihre Felle, das Fleisch und die Innereien verwertete. Für Anna war es der Raum, der Himmel und Hölle voneinander trennte und sie in Letztere verbannte. Manches Mal war das in ihm aufgehängte Fleisch bereits verwest, weil Helme es in seinem Rausch versäumt hatte, es rechtzeitig mit der nötigen Sorgfalt zu verarbeiten. Wie immer, wenn etwas gegen seinen Willen geschah, ließ er es dann an Anna aus und sperrte sie oft tagelang zu den sich immer weiter zersetzenden Kadavern ins Loch. Mehr als einmal hatte Anna geglaubt, sich ebenfalls in der Dunkelheit aufzulösen, ohne dass es jemand merken oder sich gar daran stören würde. Nur einmal hatte sie Hilfe erhalten. Ohne Grund hatte Helme die Luke geöffnet und sie ins Loch hinuntergestoßen, gerade als sie zum Gasthaus gehen wollte, um dort zu bedienen. Alles Weinen und Betteln nützte nichts. Selbst als sie sagte, dass sie das Geld brauchen würden, welches sie in der Schänke verdiente, ließ er sich nicht erweichen. Nach einiger Zeit, die sie dort unten im Dunkeln gekauert hatte, hörte sie oben jedoch zwei Stimmen, die sich zu streiten schienen. Vorsichtig krabbelte sie die Stufen hinauf, bis sie mit dem Ohr an der Luke saß und zu erlauschen versuchte, was im Haus gesprochen wurde. Zuerst konnte sie nur das wütende Gebell ihres Vaters ausmachen, doch nach einer Weile erkannte sie, dass Gerhild, die Wirtin der Schänke, sich mit Helme stritt. Anna wagte kaum zu atmen, während sie darauf wartete, wie der Zwist wohl ausgehen mochte. Erst als sie hörte, dass die Tür geöffnet wurde und Gerhild offenbar im Begriff war, das Haus wieder zu verlassen, trommelte Anna nach Leibeskräften gegen die verschlossene Luke und brüllte ihren Namen. Stimmen wurden laut, schnelle Schritte, dann öffnete jemand das Loch. Anna blinzelte ins Licht, nahm Gerhilds Gesicht wahr, das sie mitfühlend ansah. Sie streckte ihr die Hand entgegen. Helme protestierte heftig, aber nur kurz. Die Wirtin drohte ihm damit, dass, sollte er ihr nur noch einen Schritt näher kommen oder sie gar anrühren, sie ihren Mann und die Lüner herbeirufen würde. Dann griff sie Annas Hand, zog sie aus dem Loch heraus und schob sie aus dem Haus. In den darauffolgenden Wochen fürchtete Anna um ihr Leben und fragte sich stets, wie Helmes Rache für diese Zurechtweisung wohl ausfallen würde. Doch aus Gründen, die sie bis heute nicht ganz begriff, hielt er sich zurück. Gerhild hatte sie danach immer wieder bestärkt, ihr sofort zu sagen, wenn
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