Die Duftnäherin
nahm es mit bestürztem Gesicht wahr.
»Was ist Euch geschehen?«
Der junge Mann räusperte sich, doch bevor er etwas antworten konnte, erwiderte schon Margrite an seiner Stelle: »Eine schwere Erkrankung, eine gar fürchterliche Entstellung, auch grober Unsinn, Täuschung oder Betrug genannt.« Sie lächelte ihn abschätzig dabei an.
Er zögerte kurz, zeigte dann aber ein breites Grinsen. »Ihr seid eine gute Beobachterin.«
Margrite nahm es mit einem amüsierten Kopfnicken zur Kenntnis. »Was treibt Ihr hier? Habt Ihr eine Schlafstelle im Gasthaus?«
»Nicht direkt.«
»Ich verstehe. Wir wollen uns hier nur frisches Stroh holen und haben ansonsten nichts gesehen.«
»Ich danke Euch.«
Margrite bückte sich hinab, raffte ihren Überrock zu einer Schürze und füllte sie mit Stroh. »Binhildis«, sagte sie scharf. »Willst du weiter wie angewachsen hier stehen bleiben oder dir nicht lieber das Stroh für dein Lager nehmen, bevor die anderen kommen und darauf herumtrampeln?«
Eilig ging Binhildis in die Knie und tat es Margrite gleich. Die Blicke, die sie dem Fremden dabei zuwarf, entgingen weder ihm noch Margrite, die langsam die Geduld mit Binhildis verlor.
»Was glaubst du, was du da tust?«
»Was denn?«, entrüstete sich die Jüngere.
Margrite legte den Kopf schief. »Glaubst du, ich sei plötzlich erblindet?«
Trotzig raffte Binhildis das Stroh zusammen. »Ich muss auch sehen, wo ich bleibe.«
»Genau. Und deshalb bestimmt nicht bei einem, der vorgibt, ein Krüppel zu sein, um auf diese Weise die Leute besser bestehlen zu können.«
Binhildis blickte missmutig drein.
»Euch ist schon bewusst, dass ich hier stehe und Euch zuhöre?« Der Fremde schien zu schwanken, ob er amüsiert oder gekränkt sein sollte.
Margrite zog die Augenbrauen hoch. »Ein Betrüger und doch so empfindlich? Sei es drum! Solange Ihr Euch nur von uns und unseren Ständen fernhaltet und nicht den Versuch unternehmt, etwas von unseren Waren unter Eurem Umhang verschwinden zu lassen, könnt Ihr in Eurem vermeintlichen Krüppeldasein meinetwegen treiben, was Ihr fröhlich seid.«
»Von Euren Ständen? Ihr seid Händler?«
Margrite behielt den Saum ihres Kleides in der Hand, damit ihr das gesammelte Stroh nicht entglitt, und richtete sich auf. »Selbstverständlich sind wir Händler. Was dachtet Ihr denn?«
Der Fremde schien sich seine nächsten Worte genau zu überlegen. »Ihr tragt zwar weder Hurenbänder noch Flicken, und auch der züchtige Kragen mag einiges verbergen, doch glaubte ich, Euer Gewerbe so genau zu erkennen, wie das Stroh hier gelb ist.«
Margrites Herz klopfte laut in ihrer Brust. Sie war deftige Reden aus der Zeit gewohnt, in der sie sich tatsächlich als Hure hatte durchschlagen müssen. Doch das war Jahre her, und da sie die Bänder schon vor so langer Zeit entfernt und ihr Kleid seitdem züchtig geschnürt hielt, fühlte sie sich nun verletzt und gedemütigt. Sie suchte nach Worten, doch ihr sonst so schlagfertiges Mundwerk schien ihr nicht zu Hilfe eilen zu wollen.
Der Fremde bemerkte die Veränderung in ihrem Gesicht. War es möglich, dass er ihren wunden Punkt getroffen hatte? Die Frau schien bestürzt, und er bedauerte augenblicklich, so rüde mit ihr gesprochen zu haben. Zwar war sie zweifelsfrei das, für was er sie hielt, doch der betroffene Ausdruck in ihren Augen ließ ihn Mitleid mit ihr haben.
»Verzeiht!«, brachte er eilig hervor. »Ich sehe, ich habe mich getäuscht. Ich bin ein Narr und hoffe auf Eure Milde.« Er deutete eine Verbeugung an.
Margrites Herz pochte noch immer. Nur selten hatte sie einen Gedanken daran verschwendet, wie die Menschen, denen sie auf ihren Reisen begegnete, sie beurteilten. Eines Tages, das hatte sie sich immer geschworen, würde sie wieder das Weib sein, das sie einst gewesen war. Vor zwei Jahren hatte sie die Bürgerrechte der Stadt Bremen erhalten. Zwar nicht, ohne einiges dafür getan zu haben, um den Mann, der sich diesbezüglich für sie eingesetzt hatte, zuvor auf ihre Seite zu ziehen. Doch war sie damit ihrem Ziel, eines Tages an der Seite eines ansehnlichen Gatten anerkannt und geachtet zu werden, ein gutes Stück näher gekommen. Schon bald würde sie wieder zurück in Bremen sein, in ihrem eigenen, kleinen Haus, wo sie sich nicht mehr über Diebe und unverschämte Kerle, wie den vermeintlich Einarmigen vor ihr, ärgern müsste.
»Schon gut«, murmelte sie. »Binhildis, nimm das Stroh und lass uns gehen.«
Die Jüngere stopfte nach, nahm, so viel
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