Die Dunkelheit in den Bergen
Hostetter und Rauch über die flotte Fahrt. Die beiden Rappen trabten, als wären sie ihr Leben lang eingesperrt gewesen und würden zum ersten Mal die frische Luft genießen. Ihre Bewegungen waren so ausgreifend und vorwärtsdrängend, dass keine Stunde vergangen war, als sie durch die Straßen von Ems trabten. Die Flanken waren nass und der Takt gleichmäßiger geworden, aber die Pferde zeigten keine Ermüdung. Beim Zusammenfluss von Vorderrhein und Hinterrhein fuhren sie im Schritt über die lange Holzbrücke, einige Zeit darauf waren sie in Bonaduz.
Hostetter ließ das Gespann im Schritt gehen und lenkte es auf die Straße, die nach Versam und ins Safiental führte. Zwischen den Hausmauern war die Mittagshitze nun deutlich zu spüren. Die Sonne brannte hoch am Himmel, und kein Lüftchen regte sich. Am Ausgang des Dorfes schnalzte Hostetter mit der Zunge, und die Pferde sprangen gleich wieder an und fielen in Trab. Er war begeistert. Die beiden Rappen übertrafen die einheimischen Zugpferde an Schnelligkeit, Ausdauer, Kraft und Größe.
Wo werden wir zu Mittag essen?, fragte Rauch.
Hostetter schüttelte den Kopf und sah nach oben. Die Äste kamen ihnen bedenklich nahe. Das Gespann fuhr nun durch den Wald. Zwischen den dunklen Tannen blitzten Sonnenstrahlen auf.
28 Im Innern der Kutsche war es warm geworden, sehr warm sogar. Der Herr Doktor und der Baron lockerten ihre kunstvoll gebundenen Halstücher und wischten sich mit den Taschentüchern in regelmäßigen Abständen den Schweiß von der Stirn. Nun strömte zum Glück etwas kühlere Waldluft durch das Fenster. Der Baron fingerte seine Uhr aus der Westentasche. Sie zeigte fünf Minuten nach zwölf (Essenszeit), als sie aus dem Wald rollten und hinter der Wegbiegung die Weihermühle auftauchen sahen.
Ein eigenartiges Bild bot sich ihnen. Mehrere Personen saßen in einigem Abstand voneinander auf der Wiese, im Schatten der Holundersträucher, auf gedrechselten, geschnitzten und gebeizten Stühlen, die eigentlich ins Haus gehörten, einige saßen auch am Boden, neben dem Stall standen zwei Gespanne, eine Chaise mit einem Apfelschimmel und ein Leiterwagen mit einem Freiberger, die Pferde grasten. Ein akkurat komponiertes Landschaftsbild mit Figuren wie von Lory fils gemalt. Als die Karosse des Barons auftauchte, erhoben sich alle gleichzeitig von ihren Stühlen und vom Boden und traten zu einer Gruppe zusammen, die besorgt und erwartungsvoll zusah, wie Hostetter das Gespann aus dem vollen Trab gekonnt zum Stehen brachte, wie die Tür aufschwang und der Baron und der Doktor ausstiegen.
Schrecklich, was für eine schreckliche Angelegenheit!, rief Landammann Locher zur Begrüßung, wir sind froh, dass der Herr Verhörrichter so schnell gekommen ist! Wir dachten, dass es so am besten wäre, wo doch ein Ausländer als Täter verdächtigt wird –
Die Herren kannten sich bereits, Landammann Locher stand dem Gericht Imboden vor und hatte den Baron schon mehrmals in Chur an Ratsversammlungen angetroffen. Ein untersetzter kräftiger Mann, an dem einiges allzu groß geraten war: Mund, Nase, Ohren, der Kopf, die Hände.
Er, sagte der Landammann und wies auf einen bleichen Mann neben ihm, ist mein Statthalter, Christian Fetz aus Rhäzüns – Herr Verhörrichter, sagte dieser und neigte den Kopf –, neben ihm Hauptmann Peter Vieli zu unserer Verfügung, er ist gerade im Heimaturlaub, Ihr kennt sicher seinen Vater, den Großrat Vieli – Papier und Tinte habe ich dabei, sagte der gutgekleidete junge Mann und schüttelte dem Baron die Hand.
Wo dient Ihr?, fragte der Baron.
In Holland, im Bündner Regiment von Jakob von Sprecher, antwortete Peter Vieli.
Dann werdet Ihr die beiden Heimkehrer vielleicht kennen, sagte der Baron und wies auf Hostetter und Rauch, die sich der Gruppe näherten.
Die beiden sind nicht zu übersehen, sagte Peter Vieli, gute Soldaten, aber in meiner Kompanie sind sie nicht gewesen.
Hostetter und Rauch wunderten sich, an diesem Ort einen Hauptmann aus ihrem ehemaligen Regiment anzutreffen; sofort nahmen sie Haltung an und salutierten.
Der Landammann wies auf einen weiteren Mann, der in der Gruppe stand. Das hier ist der Knecht des Müllers – der Franzisk!, stieß der Knecht sogleich ungestüm hervor, der Tiroler Franzisk ist das gewesen!
Eins nach dem anderen, bitte! Der Baron wunderte sich über die Heftigkeit, mit welcher der Knecht den Schuldigen benannte. War er Zeuge der Tat?
Der Knecht erschrak: Ich? Nein!
Und weshalb meint er dann,
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