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Die Dunkelheit in den Bergen

Die Dunkelheit in den Bergen

Titel: Die Dunkelheit in den Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Huonder
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unheimlich zumute war, wenn ich mir die verwilderten Menschen dachte, die hier ringsum wohnen, und wie einsam es hier oben sei.
    Jeremias Gotthelf: Wie fünf Mädchen im Branntwein jämmerlich umkommen (Bern 1838)

40 Hostetter und Rauch saßen nicht zum ersten Mal auf einem Pferderücken, aber geübte Reiter waren die beiden nicht. Bisher war Hostetter lieber gefahren als geritten und blickte deshalb skeptisch auf den schlanken Hals seiner Einsiedler Stute. So ging es ihm zu Beginn immer, wenn er sich auf ein Pferd setzte, es erschien ihm wackelig und instabil, der Boden bedenklich weit entfernt. Er wusste aber auch, dass das Gefühl der Unsicherheit nach einiger Zeit von selbst verschwinden würde. Rauch saß etwas tiefer, seine langen Beine reichten weit hinunter, Schultern und Hals seines Freibergers waren breiter. Es schien Rauch nicht übermäßig zu beeindrucken, plötzlich als berittener Landjäger unterwegs zu sein.
    Eine Viertelstunde blieben sie im Schritt, dann wollte Hostetter es wissen und klopfte seiner Stute die Hacken in den Bauch. Sofort fiel sie in einen flotten Trab, und er wurde kräftig durchgeschüttelt. Als er sich einigermaßen sicher fühlte und im Sattel umdrehte, sah er, dass der Freiberger hinterhertrabte und dass das lose umgehängte Gewehr Rauch auf den Rücken prügelte.
    Es war noch hell, als sie die Moorwiese mit dem Weiher erreichten. Die Mühle und der Stall lagen still dahinter. Nichts verriet, was sich in der vergangenen Nacht hier zugetragen hatte. Sie verließen die Versamer Straße und ritten über die Wiese auf die Mühle zu. Vor dem Stall brachten sie die Pferde zum Stehen.
    Im Türspalt tauchte das misstrauische Gesicht des Knechts auf. Was wollt ihr?, fragte er.
    Wir müssen mit dir reden!, rief Hostetter.
    Während sie abstiegen und die Pferde am Brunnen trinken ließen, betrachtete der Knecht argwöhnisch ihre Waffen. Er wunderte sich über die beiden Männer. Er wusste, dass sie heute mit der Karosse des Verhörrichters zur Mühle gefahren waren, aber jetzt, mit den Pferden, den Gewehren, ihren langen Haaren und den abgetragenen Kleidern, machten sie keinen vertrauenserweckenden Eindruck.
    Wer seid ihr überhaupt?, fragte er, ohne die Tür weiter zu öffnen.
    Landjäger Hostetter und Landjäger Rauch, sagte der mit den blonden Locken.
    So seht ihr aber nicht aus, antwortete der Knecht.
    Hostetter berichtete ihm von ihrer kurzfristigen Einstellung und dem Auftrag des Verhörrichters und verlangte, die Kammer zu sehen.
    Wieso meine Kammer?
    Nachforschungen, sagte Hostetter.
    Sie banden die Zügel an einen Zaunpfosten und traten dann auf ihn zu. Zögernd öffnete der Knecht die Tür und ließ sie eintreten. Im Stall war nicht mehr viel Licht. Die Pferde des Müllers scharrten mit den Hufen. Rechts führte eine Tür in die Kammer. Der Knecht stieß sie auf und ging voraus.
    Man sieht zu wenig, sagte Hostetter. Hast du kein Licht?
    Der Knecht brauchte eine Weile, bis das Talglicht auf dem Tisch brannte. Sie blickten sich gründlich um, aber es gab nicht viel zu entdecken. Tisch, Stuhl, ein Bett, ein Holzbord an der Wand, auf dem Kleidungsstücke und allerlei Kram lagen, eine Pfeife, Lederriemen, Flaschen. Ein paar löchrige Stiefel standen am Boden, Jacken, Mantel, Hut hingen hinter der Tür.
    Du glaubst also, fragte Hostetter, dass es der Tiroler war?
    Wer sollte es sonst gewesen sein, knurrte der Knecht.
    Und wieso hat er das getan?
    Der Knecht sprach schnell und mit Empörung in der Stimme: Was weiß ich, er trinkt zu viel und wird schnell wütend. Dann klaut er auch und schimpft die ganze Zeit über die Weiber.
    Welche Weiber?, fragte Hostetter nach.
    Über alle Weiber, behauptete der Knecht.
    Sie gingen vor den Stall und schauten auf die Moor-wiese, über die sich die Abenddämmerung legte.
    Ob er nochmals zurückkommt?, fragte Hostetter.
    Das will ich ihm nicht raten, sagte der Knecht.
    Hostetter wollte wissen, wo Rimmel überall Bekannte hatte, bei denen sie nachfragen konnten.
    Der kennt überall Leute, sagte der Knecht, hier in der Gegend, im Prättigau, im Schanfigg, im Engadin, im Veltlin.
    Wen kennt er in der Nähe?
    Der Franzisk treibt sich so viel rum, dass er überall jemanden kennt, in jedem Dorf wahrscheinlich. Bevor er zu uns kam, war er in Versam, sagte der Knecht.
    Kann er denn Romanisch?, fragte Hostetter.
    Nein.
    Dann wird er wohl nicht ins Oberland gehen. Und rheinabwärts in Richtung Chur, ins Fürstentum oder nach Österreich, das glaube ich auch

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