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Die Dunkelheit in den Bergen

Die Dunkelheit in den Bergen

Titel: Die Dunkelheit in den Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Huonder
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los ist? Wo tut es dir denn weh? Was ist das für eine Krankheit?
    Lass mich in Ruhe!
    Wenn man krank ist, liegt man im Bett und muss etwas dagegen tun, beharrte sie, stand in der Türöffnung und schien nicht lockerlassen zu wollen.
    Geh wieder hinein! Geh zu den Kindern!
    Nein, ich will jetzt wissen, was mit dir los ist! Sie war laut geworden, er erhob sich und schrie sie an: Lass mich einfach in Ruhe!
    Nein!, schrie sie zurück. Sie sah nicht, wie er im Dunkeln ausholte. Spürte plötzlich einen heißen Schlag auf ihrem Gesicht, der ihren Kopf gegen den Türrahmen schmetterte. Sterne funkelten vor ihren Augen, sie musste sich am Türrahmen festhalten, um nicht umzufallen. Hansmartin drängte sich an ihr vorbei nach draußen. Er ging um den Stall herum auf die Rückseite und durch das Tor auf den Heuboden. Sie hörte die Torangeln quietschen, dann seine schweren Schritte. Von diesem Abend an schlief er im Heu und verbrachte auch den Tag dort. Er kam nicht einmal mehr zum Essen ins Haus, aber seiner Frau fiel auf, dass er sich ein Stück Brot aus der Küche geholt hatte, als sie mit den Kindern auf dem Feld war.
    57 Am Montagmorgen, den 16. Juli, noch vor Tagesanbruch, war Baron von Mont in seinem Arbeitszimmer damit beschäftigt, eine Akte herauszusuchen. Seine Frau und die Bediensteten schliefen noch. Er selbst konnte nicht mehr schlafen. Also nutzte er die Zeit für Vorbereitungen. Das benötigte Schriftstück war ein Auszug aus der amtlichen Gesetzessammlung für den Eidgenössischen Stand Graubünden, zwei Seiten aus dem Abschnitt Kriminaljustizwesen . Der Titel lautete: Tarif für den Scharfrichter . Der Baron schlug das Gesetzesblatt auf und überflog die Zeilen.
    Für das Enthaupten oder Henken, alle dazu erforderlichen Akte einbegriffen, waren 16 Gulden zu zahlen.
    3 Gulden für das Begraben des Körpers.
    2 Gulden und 30 Kreutzer für das Aufpfählen des Kopfes.
    4 Gulden 30 Kreutzer für das Stellen des Halseisens.
    3 Gulden für das Abhauen und Verstümmeln eines Glieds.
    4 Gulden für das Brandmarken.
    Der Scharfrichter war nicht berechtigt, für andere Akte etwas zu fordern, es wäre denn, dass einem Missetäter eine Leibes- oder Lebensstrafe zuerkannt würde, die hier nicht aufgeführt war. In diesem Fall hatte der Kleine Rat die Entschädigung zu bestimmen.
    Als jährliches Wartgeld standen dem Scharfrichter 300 Gulden zu. Das ärztliche Praktizieren war ihm verboten. Was sprach aber dagegen, ihn bei einem peinlichen Verhör mitwirken zu lassen? Rutenhiebe konnte jeder Landjäger austeilen. Es gab stärkere Mittel, jemandem die Wahrheit zu entlocken. Sollte der Baron deswegen den Kleinen Rat bemühen? Der Scharfrichter Johannes Krieger war nicht zimperlich. Wenn der Verhörrichter ihn rief, würde er kommen und tun, was man von ihm verlangte.
    58 Das Amtszimmer des Verhörrichters im Sennhof, zwei Stunden später. Verschlossene Schränke, daneben Regale mit Büchern und Akten. Ein Schreibtisch in der Mitte, dahinter ein hölzerner Stuhl mit Armlehnen. In der Ecke ein kleiner Tisch, drei Sessel. An der Wand das Kantonswappen, daneben eine Karte von Graubünden. Darauf verschieden eingefärbt: Der Graue Bund, der Zehngerichtebund, der Gotteshausbund. Die Fenster gingen alle nach Westen hinaus. Vor der Zuchtanstalt waren Obstgärten zu sehen, dahinter die Pfaffenställe, darüber der bischöfliche Hof. Der religiöse Eifer des Barons hielt sich, wie sein politischer Eifer, in bescheidenen Grenzen. Er war ein Mann der Justiz. Ein Apostel des Rechts. Er sah zu den Füßen des bischöflichen Schlosses sein eigenes Wohnhaus, daneben einen Stall, davor Hühner, Katzen, Hunde, darüber die Dächer der Stadt Chur, den Kirchturm zu Sankt Martin. Die einzige Tür seines Amtszimmers führte in den Vorraum, in dem Ratsherr Andreas Otto seinen Schreibtisch stehen hatte.
    Im letzten Jahr war Joseph Fouché gestorben, Napoleons Polizeiminister. Er, Baron von Mont, war jung und hatte eine vielversprechende Zukunft vor sich. Gerade mal eine halbe Woche war seit der Tat verstrichen und der Verdächtige gefasst. Als Ankläger im anstehenden Prozess des Kantons-Kriminalgerichts hatte er vor, die Todesstrafe für Franz Rimmel zu beantragen. Es bestand kein Zweifel, dass das Gericht seinem Antrag folgen würde. Es kam einem Wunder gleich, wie schnell sein Amt das Problem bewältigt hatte. Natürlich gab es Dutzende von anderen Problemen, die auf eine Lösung warteten. Die Weibsbilder und der falsche Arzt waren entkommen,

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