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Die Dunkelheit in den Bergen

Die Dunkelheit in den Bergen

Titel: Die Dunkelheit in den Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Huonder
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die Stirn, um den Blick gegen die gleißende Sonne abzuschirmen. Er sah eine hellbraune Stute, daneben einen Freiberger, auf jedem saß ein fremder Mann, oder hatte er die beiden schon mal gesehen? Irgendwie kamen sie ihm bekannt vor. Der Torwächter staunte, als er den erschöpften Kerl sah, der mit gefesselten Händen am Strick geführt wurde. Er stemmte sich von seiner Bank hoch und bog vorsichtig seinen Rücken gerade. Wen haben wir denn da?, fragte er.
    Franz Rimmel, sagte Hostetter, den Mörder von der Weihermühle.
    Rimmel? Der Torwärter war schlagartig wach. Das Verbrechen von Bonaduz hatte sich in der Stadt herumgesprochen. Steckbriefe mit einer Personenbeschreibung waren aufgehängt worden. Die Leute waren schockiert und verängstigt, hatten Mutmaßungen angestellt über den Unmenschen, den Teufel, der nachts unbescholtene Bürger überfiel und mit der Axt zerstückelte. In den vergangenen Tagen hatten sich Gerüchte verbreitet, dass der Mörder in der nahen Gegend unterwegs war und wieder zuschlagen würde, sobald es dunkel wurde. Er bevorzuge Frauen, die am Abend noch allein aus dem Haus gehen, hieß es. Und diese erschöpfte, ausgemergelte Gestalt in kurzen Hosen sollte der Mörder sein?
    Der da?
    Er ist es, sagte Hostetter, daran gibt es keinen Zweifel, er hat die Tat gestanden.
    Den Torwächter juckte es in den Fingern. Er hätte dem mageren Kerl gern eins mit dem Lanzenschaft übergezogen. Rimmel war gefesselt, und der Riese auf dem Freiberger hielt den Strick in seiner Faust. Der Wächter beherrschte sich aber, ging durch das Tor voraus und rief in die Gassen hinein: Der Mörder! Sie haben ihn geschnappt! Der Mörder ist gefangen! Von überall strömten Leute herbei, in kurzer Zeit bildete sich ein Gedränge, das die beiden Reiter und ihren Gefangenen begleitete. Mit Rufen, Grölen und Gelächter zogen sie durch die Obere Gasse zum Martinsplatz und dann die Reichsgasse hinunter zum Süßen Winkel. Hintereinander weg, Hostetter, Rauch, Rimmel zu Fuß, den Blick auf die Gasse gesenkt, schwankend. Immer mehr Leute kamen hinzu. Steine flogen, verfehlten ihr Ziel und trafen andere Gaffer, die fluchten und die Werfer verfolgten.
    Als sie vor dem Tor der Zuchtanstalt ankamen, hatte jemand bereits den Verhörrichter gerufen. Baron von Mont bahnte sich einen Weg durch die Leute und klopfte energisch an das Tor des Sennhofs. Einzelne Rufe wurden laut: Hängt ihn auf! Holt den Scharfrichter!
    Das schwere Holztor schwang auf, der Baron trat ein, winkte Hostetter und Rauch mit ihrem taumelnden Gefangenen hinein, das Tor schloss sich wieder. Der Baron hatte zwar am Abend zuvor die Nachricht von der Verhaftung erhalten. Aber erst jetzt, wo er den gefesselten Mann vor sich sah, freute er sich richtig.
    Rimmel konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und sackte auf das Kopfsteinpflaster. Rauch musste ihn hochzerren und festhalten, damit man mit ihm reden konnte. Der Baron fragte, ob er der gesuchte Franz Rimmel sei, bekam aber nur ein Stöhnen als Antwort.
    Der Baron verschob das Verhör und ließ ihn in eine Zelle sperren.
    In der Wachstube hörte sich der Verhörrichter anschließend den ausführlichen Bericht von Hostetter an. Über die Suche im Safiental, den Marsch über den Safierberg, die Verhaftung in Splügen, die Auseinandersetzung mit Landammann Weisstanner, den heimlichen Aufbruch und die beschwerliche Reise zurück nach Chur. Auf dem Tisch lag Rimmels Rucksack, in dem sich vierundneunzig Gulden fanden.
    Hervorragende Arbeit, sagte der Baron, außergewöhnlich! Ihr habt meine Erwartungen mehr als erfüllt! Der Verhörrichter sagte es mit solchem Nachdruck, dass Hostetter vor Stolz nervös zu lachen begann.
    Die schnelle Verhaftung ist von unschätzbarem Wert. Für das Ansehen der Polizei, der Justiz, des Kantons. Ihr werdet euch jetzt einen Tag ausruhen und euren Dienst übermorgen antreten. Am Dienstagmorgen um sechs, hier in der Wachstube.
    56 Was hat der Vater?, fragten die Kinder im Haus der Bonadurers.
    Er ist krank, sagte die Mutter.
    Hansmartin Bonadurer war wieder nach hinten in die Schlafkammer gegangen und hatte sich hingelegt.
    Das karge Abendessen, Suppe und Brot, aßen sie allein. Als es Schlafenszeit war für die Kleinen und Anna mit ihnen in die Kammer kam, ging Hansmartin hinaus in den Stall. Dort saß er im halbdunklen Ziegenverschlag.
    Was machst du im Stall?, fragte Anna. Sie war ihm nachgegangen.
    Nichts, sagte er.
    Du lässt uns allein, sagte sie. Wieso sagst du mir nicht, was

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