Die Dunkelheit in den Bergen
Buol.
Die deutschen Lehrer in Chur machen Probleme, sagte einer der Ratsherren.
Nicht die Lehrer, warf ein anderer ein, Metternich ist das Problem.
Viele liberale Deutschnationale hatten in letzter Zeit fliehen müssen. Ein paar unterrichteten auch in Chur. Der Bekannteste unter ihnen war Karl Völker, ein Schüler von Turnvater Jahn. Völker war vor den württembergischen Behörden geflohen und unterrichtete nun an der Kantonsschule Turnen und Exerzieren. Er war Teilnehmer der Wartburgfeier gewesen und ein persönlicher Bekannter von Carl August Sand. Der Mörder des Grafen von Kotzebue war letztes Jahr in Mannheim hingerichtet worden, das hatte seine Berühmtheit aber nur verstärkt. Seit der Henker sich aus dem Schafott ein Gartenhäuschen gebaut hatte, wurden getrocknete Blüten und Blätter aus seinem Garten als Reliquien gehandelt. Nun war wieder eine diplomatische Note an die Bündner Regierung gelangt. Die vierte mittlerweile. Mit Sorge werde beobachtet, hieß es darin, dass sich immer mehr Aufrührer in die Schweiz und nach Graubünden zurückzogen, um von dort aus den Umsturz voranzutreiben. Jegliche Unterstützung dieser Subjekte werde als Angriff auf die Staatsordnung angesehen. Fürst von Metternich war österreichischer Staatskanzler geworden und suchte die Liberalen mit allen Mitteln zu verfolgen, auch jenseits der Grenzen.
Das Problem wurde vom Rat einmal mehr zur Kenntnis genommen und protokolliert, beschlossen wurde jedoch nichts. Nach der Sitzung bat Landrichter Christian von Marchion den Verhörrichter um ein paar Worte unter vier Augen.
In der eidgenössischen Tagsatzung gibt es Stimmen, sagte von Marchion auf der Treppe, welche die Einsetzung eines Eidgenössischen Fremdenkommissars anregen.
Das würde unsere Arbeit erleichtern, antwortete Baron von Mont.
Der Landrichter legte seine Hand auf den Arm des Verhörrichters und fügte hinzu: Ihr, werter Herr Baron, habt die besten Voraussetzungen für dieses Amt vorzuweisen, eine ehrenwerte Bündner Familie, beste juristische Ausbildung, viel Erfahrung, und Ihr seid noch jung und tatkräftig. In den vergangenen drei Jahren habt Ihr bewiesen, wie die Polizei und die Justiz zu einem wirkungsvollen Instrument der staatlichen Macht werden können. Und jetzt der Mordfall von der Weihermühle, das war eine exzellente Arbeit.
Das ist meine Pflicht, Herr Landrichter, aber ich möchte mich für das Lob bedanken.
Und außerdem, fuhr von Marchion fort: Gibt es jemanden, der mehr Berechtigung für dieses Amt anmelden kann als ein Bündner? Kein Kanton hat so viele Grenzen und wichtige Durchgangsstraßen zu schützen wie wir.
Das wird niemand bestreiten.
Ein Bündner muss es werden, das ist gewiss. Wäret Ihr denn geneigt, ein solches Amt zu übernehmen? Die bestehenden Ämter müsstet Ihr dafür nicht aufgeben. Einen Teil der zukünftigen Arbeit als eidgenössischer Fremdenkommissär verrichtet Ihr ja bereits jetzt als kantonaler Polizeidirektor.
Falls das Amt eingerichtet wird, würde ich eine Ernennung selbstverständlich nicht ablehnen, antwortete der Baron.
Das habe ich erwartet, und es freut mich, sagte Landrichter Marchion, drückte den Arm des Barons und fügte hinzu: Ein Bündner in diesem Amt würde dem Ansehen unseres Kantons in Bern sehr dienen.
62 Das Tabakrauchen mit unbedeckten Pfeifen sowie das Zigarrenrauchen auf den Plätzen und Gassen der Stadt Chur war äußerst gefährlich und deshalb verboten; unter vorragenden Dächern galt das Verbot auch für gedeckte Pfeifen. Gänzlich verboten war alles Holzschleifen durch die Stadt. Ebenfalls untersagt war, Unrat oder Schutt und dergleichen auf dem Stadtgebiet abzuladen, außer wenn solcher direkt vom Wagen herunter in den Fluss geworfen wurde. Alle über das Stadtgebiet fahrenden Gespanne mit mehr als zwei Pferden mussten vom Sattel aus geführt werden. Kein Kutscher oder Fuhrmann durfte sein Gespann sich selbst überlassen, bei Buße und strenger Ahndung im Schadensfall. Wenn sich zwei Fuhrwerke in oder vor der Stadt begegneten, so musste jedes nach rechts ausweichen. Es war verboten, schneller als im kleinen Trab durch die Gassen oder um den Graben zu reiten oder zu fahren. Jedermann hatte sich danach zu richten und sich davor zu hüten, Schaden herbeizuführen.
Hostetter und Rauch mussten die Einhaltung dieser Gesetze überwachen. Sie standen hinter einem Strauch in der Nähe des Unteren Stadttores und hielten Ausschau nach Gespannen, die zu schnell am Stadtgraben entlangfuhren.
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