Die dunkle Armee
allerwenigsten, mein Prinz.«
Rhyn-Khur zeigte mit dem Finger auf ihn. »Wart’s ab, Westfallen. Warte nur ab.«
Damit machte er auf dem Absatz kehrt und stolzierte hinaus. Die Herren der Toten blieben. Es war kalt im Zimmer. Das Feuer im Kamin brannte zwar wieder, hatte aber noch nicht alle Ecken wärmen können.
Die Burg war ein öder Zweckbau der Konkordanz, nicht auf Bequemlichkeit ausgerichtet. Doch sie war stark und erfüllte ihren Zweck, und das durfte man nicht verachten. Außerdem stellte sie zahlreiche rasche Fluchtmöglichkeiten zur Verfügung, entweder zurück nach Tsard oder in einsame Gebiete der Konkordanz.
»Der Edle Garanth wurde lebend gefasst«, sagte Gorian.
Die Herren der Toten reagierten kaum. Sie standen nebeneinander und warteten. Ein faszinierender Schlag waren sie. Priester, Gefängniswärter und Scharfrichter in einer Person. Tsardonier mit einer höchst eigenartigen Verbindung zu denen, die vom Leben in den Tod übergegangen waren. Gorian bemühte sich immer noch, die Art der Verbindung zu ergründen. Sie besaßen Kräfte wie kein anderer lebender Mensch außer den Aufgestiegenen, doch die Kräfte blieben passiv, und ihre Besitzer setzten sie ein, ohne sie zu verstehen.
»Dann muss er gerettet werden«, sagte einer der beiden, der wegen seiner abgefeilten Schneidezähne nur pfeifend sprechen konnte.
»Er weiß, was er tun muss, Edler Runok«, antwortete Gorian ihm. Runok war eigentlich kaum fähig, auch nur einen zusammenhängenden Satz zu sprechen. Für ihn war die Tätowierung mehr als ein Abzeichen. Es war eine Besessenheit. »Er wird sprechen, dann wird er hören, und ich werde lauschen.«
»Wie Ihr wünscht, Meister.«
Gorian lächelte. »So ist es.«
»Ihr habt davon gesprochen, die Toten unbeschädigt zu ernten«, sagte der Edle Tydiol, der Zweite im Bunde. »Ich verstehe nicht, wie dies möglich sein soll.«
»Die Schwertklinge oder der Biss einer Ratte sind nur zwei Möglichkeiten, einen Mann zu töten. Die Erde birgt viele Geheimnisse. Nun sagt mir, wem seid ihr treu ergeben?«
»Dem, der die Toten befehligt«, sagte Tydiol sofort.
»Die Toten widersprechen nicht. Die Toten stellen ihren Herrscher und seine Taktik nicht infrage«, bekräftigte Gorian. »Bald sollt ihr eure Belohnung für eure Treue erhalten.«
Die beiden Herren der Toten verneigten sich. »Wir erwarten Eure Befehle.«
»Noch ein guter Rat, bevor ihr geht«, sagte Gorian. »Verzichtet heute Abend auf Alkohol. Er könnte ein wenig scharf schmecken.«
»Dich trifft kein Vorwurf«, sagte Dahnishev und legte Roberto eine Hand auf die Schulter.
Roberto zuckte zusammen und wandte sich mit hängenden Schultern von Adranis ab. Dahnishevs Gesicht mit der Adlernase, sichtlich älter geworden, füllte sein Gesichtsfeld aus. Der Arzt sah ihm mitfühlend an.
»Soll ich das wirklich glauben?« Wieder hatte Roberto das Gefühl, in einem dunklen Loch zu versinken. »Soll ich das auch meiner Mutter sagen, falls er stirbt?«
»Es ist die schlichte Wahrheit. Er ist ein Kavallerist, und wir sind im Krieg. Er wurde niedergemacht, als er andere Kämpfer seiner Legion retten wollte. Er ist ein Held, und außerdem ist er gar nicht tot.«
»Noch nicht«, sagte Roberto und drehte sich wieder zu seinem Bruder um.
Adranis lag auf dem Bauch, den Kopf nach rechts gewandt, dem Inneren des Zeltes zu. Sie befanden sich im Windschatten der Felsen, unter denen sich die Überreste der Bärenkrallen zwischen den Bäumen verteilt hatten.
Es blieb abzuwarten, wie viel Mut und Kampfgeist die Soldaten verloren hatten. Viele im Lager waren empört über das, was Roberto am Morgen getan hatte. Julius Barias bemühte sich nach Kräften, die hässliche Stimmung weiter anzuheizen, und Nunan hatte Mühe, seine Legion aufzustellen und die derzeitige Position möglichst gut zu nutzen.
Es bestand durchaus die Gefahr, dass der Aufgestiegene noch einmal einen Sturm auslöste, und deshalb war die Legion nicht in der üblichen Ordnung angetreten, sondern hatte sich auf einer dreihundert Schritte breiten Front im Halbkreis auf kleine Gruppen verteilt und eingegraben. Ihre Flanken wurden von den Felsen geschützt. Das Feldlazarett war gut verteidigt, und dahinter führte zwischen den Felsen ein Weg auf die Klippe, der mit Pfählen und Seilen gesichert wurde. So bald wie möglich sollte die Evakuierung beginnen.
Nunan hatte Druck ausgeübt, damit die Leute beschäftigt waren und sich tummelten, was die Spannungen nach dem Einsatz des
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