Die dunkle Armee
der Zeit immer weiter verhärtet. Herine hatte dies in einer ganzen Reihe von Provinzen beobachtet. Tharin jedoch wusste seine Karten meisterhaft im richtigen Augenblick zu spielen. Bahkir, das seit vier Jahren unter Kriegsrecht stand und von einem estoreanischen Konsul regiert wurde, der im Palast von Sungmai residierte, hätte sich an ihm ein Beispiel nehmen sollen.
»Eure Einlassung ist mir völlig unverständlich, Tharin.« Herine seufzte. »Ihr habt gewartet, solange wir mit der Befriedung Atreskas beschäftigt waren, um Euren verhängnisvollen Weg einzuschlagen. Anscheinend glaubt Ihr, wir wären jetzt nicht und nie wieder in der Lage, Dornos unseren Willen aufzuzwingen. Ihr werdet jedoch feststellen, dass Ihr Euch im Irrtum befindet. Allerdings werdet Ihr zu diesem Zeitpunkt möglicherweise schon in die Umarmung Gottes zurückgekehrt sein.«
Herine konnte es sich gerade noch verkneifen, über den verletzten Gesichtsausdruck des Mannes zu spotten.
»Herine, bitte. Wir sind doch Freunde.«
»Wir waren es. Seid froh, dass ich Euch nicht wegen Hochverrats aburteilen lasse. Diplomaten genießen viele Rechte, die gewöhnlichen Bürgern vorenthalten bleiben. Manchmal bedaure ich, dass ich gewisse großzügige Gesetze erlassen habe.«
»Ich versuche Euch schon seit Jahren zu erklären, wie schlecht es uns geht. Und doch kommen regelmäßig Jhered und seine Lakaien und verlangen verbrecherisch hohe Tribute an Männern und Geld. Wir können und werden dies nicht länger hinnehmen.« Tharin hustete, dass sein ganzer Körper erbebte. Etwas Blut färbte seine Lippen.
Er wischte sich den Mund mit einem Tuch sauber, und Herine winkte einem Diener, ihrem Gast Wasser einzuschenken. Abermals wandte sie sich vom Botschafter ab und versuchte, die Fassung wiederzugewinnen. Im Spiegel über dem mit gemeißeltem Blattwerk geschmückten Kamin betrachtete sie ihr Spiegelbild.
Die Schminke hatte die meisten Falten überdeckt, aber sie achtete sehr darauf, wie eine Herrscherin auszusehen, und machte die Mode, immer so jung wie möglich zu erscheinen, nicht mit. Das hätte auch kaum zu einer zweiundachtzig Jahre alten Advokatin gepasst. Sie war stolz auf ihre grauen Haare. Sie waren ein Symbol für das Leben, das sie dem Dienst für ihre Bürger gewidmet hatte. Dennoch fühlte Herine sich immer noch sehr lebendig und war nicht bereit, sich als alt zu bezeichnen. Sie rückte den Reif mit dem goldenen Laub im Haar zurecht und fuhr mit dem Finger über ihre Nase. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich, sie wäre etwas ausgeprägter. Dann lächelte sie noch einmal, ehe sie sich zu Tharin umdrehte. Erstaunlich, dass sie in ihrem Alter noch zur Eitelkeit neigte.
»Keine zweihundert Schritte entfernt gibt es einen Mann, der Euch von allem heilen könnte, das Euch befallen hat. Es wird noch weitere geben wie ihn. Sie sind fähig, Bürger zu retten, für die es bisher keine Hoffnung gab.«
»Sie sind Eure größte Schwäche, Herine«, erwiderte Tharin. »Lieber würde ich sterben, als mich von einem Eurer Aufgestiegenen berühren zu lassen.«
»Dieser Wunsch wird Euch sicher bald erfüllt werden«, fauchte Herine.
»Erkennt Ihr denn nicht, dass sie der wirkliche Grund für die Schwierigkeiten der Konkordanz nach dem Krieg sind?«
»Ich weiß natürlich, dass die Aufklärung der Bürger noch nicht abgeschlossen ist.« Herine nahm wieder Platz und starrte über den Tisch hinweg Tharin an. Sie fragte sich, wie sie sich so sehr in diesem Mann hatte täuschen können.
»Haben sie Euch das gesagt? Eure Ratgeber und die Aufgestiegenen? Die reizende Geschichte, dass nichts vorgefallen sei, was man nicht mit ein wenig Aufklärung wieder ins Lot bringen könnte?«
»Glaubt Ihr denn, ich wüsste nicht, welches Gift der Orden verspritzt?«
»Damit fasst Ihr das Problem zusammen, vor dem Ihr steht«, stimmte Tharin zu.
Herine hielt inne und dachte mit gerunzelter Stirn nach. »So sprecht.«
Tharin holte tief Luft, sammelte sich und tupfte seinen Mund und die Stirn ab, auf der die Schweißtropfen standen.
»Ihr seid die Vertreterin des Allwissenden auf dieser Erde. Eure Geringschätzung für Eure eigene Kanzlerin ist allgemein bekannt. Ihr unterstützt Eure Aufgestiegenen und kehrt Eurer eigenen Religion den Rücken.«
»Oh!« Herine hob entnervt die Hände. »Ein Jahrzehnt ist vergangen, und Ihr habt es immer noch nicht begriffen? Die Aufgestiegenen sind ein Geschenk des Allwissenden, sie verrichten sein Werk.
Sie ersetzen ihn aber nicht.
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