Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Pfalz, im Rheinland und in Sachsen sind sie besonders stark. Aber noch bin ich optimistisch genug zu hoffen, dass dieses Mal das demokratische Experiment in diesem Lande gut geht und von Dauer sein wird.«
Das hoffte ich auch.
Als ich spät in der Nacht noch an Estelles Sekretär saß,fragte ich mich, was für eine Botschaft Radke mir morgen wohl bringen würde?
Hansmann hatte das Geld aufgetrieben. Großvater Vanderborg, der zu Hansmanns Unterstützung bereits am Morgen zum Bankhaus hinübergegangen war, berichtete es mir.
»Ich sah den Radke davonfahren, hochzufrieden winkte er mir zu und gab so viel Gas, dass eine schwarze Qualmwolke aus seinem Auspuff mich einnebelte und ich einen Asthmaanfall bekam.«
Allein bei dem Gedanken daran begann der Großvater erneut zu husten und es klang reichlich krank. Er griff in die Innentasche seines Jacketts und zog einen Umschlag hervor, den er mir mit den Worten »Das soll ich dir mit einem ehrerbietigen Gruß von Radke geben« überreichte.
Die Ehrerbietung konnte er in seiner Stummelpfeife rauchen!
Ich nahm den Umschlag und stockte. Fassungslos starrte ich auf die Handschrift. Der Großvater hatte meine Reaktion wohl erwartet, denn er meinte nickend: »Ja, es ist die Handschrift von Estelle, deiner Mutter … Ich sehe, du hast sie auch sofort erkannt.«
»Kein Zweifel?«, hauchte ich, denn mich befiel Panik bei dem Gedanken, sie bei Utz zu wissen.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, nicht der geringste.«
Ich stand weiter wie erstarrt und hielt den Umschlag in der Hand wie ein rohes Ei. Mein Gehirn war leer gefegt, nur ein Wort hämmerte gegen meine Schläfen: Mutter!
»Ich lasse dich jetzt besser alleine«, meinte der Großvater, »denn ich sehe, dass dich dieser Brief sehr aufwühlt. Lies ihn in aller Ruhe, und wenn du darüber reden möchtest, sprich mich an.«
Ich nickte zustimmend und er verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Das rechnete ich ihm hoch an.
Meine Erstarrung löste sich langsam und ich setzte mich an den Sekretär und legte den Brief vor mich auf die Schreibplatte. Der Umschlag war aus gutem Büttenpapier und mit blauer Tinte beschrieben. Schwungvoll in der Handschrift meiner Mutter, die sich durch romantische Schnörkel und sinnliche Unterlängen auszeichnete. Sosehr mich auch die fiebrige Neugier drängte, ich wagte es nicht, den Brief zu öffnen.
Sanft strich ich mit der Hand darüber hin und schloss dann die Augen, um vielleicht eine übersinnliche Verbindung zu ihr über dieses Objekt herzustellen. Es tat sich nichts. So hob ich den Brief auf und roch daran. Er stank nach Tabak! Was hatte ich anderes erwartet von einem Brief, den einer wie der Radke tagelang mit sich herumgeschleppt hatte? Schließlich konnte ich mich nicht mehr zurückhalten, griff nach dem kleinen silbernen Brieföffner, schlitzte den Umschlag hastig auf und zog den Briefbogen heraus. Ich faltete das Büttenpapier auseinander. Wenn ich nun eng beschriebene Seiten voller Informationen erwartet hatte, so sah ich mich getäuscht. Nur einen einzigen Satz hatte mir meine Mutter gegönnt.
Amanda, Dein Vater Karolus Utz und ich erwarten Dich auf Burg Przytulek.
Deine Mutter Estelle
Ich brach darüber in Tränen aus.
Aber auf einmal war alles wieder da, so als wäre es erst gestern geschehen …
Am Vorabend meines vierzehnten Geburtstags waren Utz und Radke auf dem Gut aufgetaucht, und als meine Mutter ihr Automobil sah, stürzte sie zu mir und befahl mir, mich ganz schnell zu verstecken. Ohne zu wissen warum, rannte ich angesteckt von ihrer Panik in die Bibliothek, wo ich mich hinter einem der schweren Vorhänge verkroch. Sekunden, bevor Utz und Radke eindrangen.
»Ich verlasse Berlin, Estelle«, sagte Utz, »und ich möchte Euch einladen mitzukommen.«
Mutter erbleichte, versuchte aber Haltung zu bewahren und antwortete, dass sie nicht abkömmlich sei.
»Nun, dann befehle ich es Euch als meinem Eheweib!«
Ich glaubte mich verhört zu haben. Was redete der Herr Utz denn da? Wie konnte meine Mutter seine Ehefrau sein, wo doch mein Vater Amadeus von Treuburg-Sassen war? Mein Herz klopfte zum Zerspringen.
»Den Anspruch habt Ihr verwirkt«, schleuderte meine Mutter dem Utz entgegen, aber der lachte nur höhnisch.
»Ihr irrt, ich habe es mit Brief und Siegel, und da ich gedenke, auf die Burg meiner Ahnen, des Grafengeschlechts von Przytulek, zurückzukehren, seid Ihr aufgrund Eurer Vergangenheit genau die richtige Gefährtin.«
Und bei diesen Worten
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