Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
kommt sie eben wieder mit nach Berlin! Ich fahre, sobald es möglich ist.«
»Diese Strapaze wirst du in deinem Alter doch nicht mehr auf dich nehmen«, versuchte Friedrich ihm das sofort auszureden. Aber er hatte nicht mit der Halsstarrigkeit seines Vaters gerechnet, der aus Liebe zu seiner Tochter auf nackten Sohlen gewiss bis ans Ende der Welt gepilgert wäre.
»Selbstverständlich reise ich. Nichts kann mich davon abhalten. Ihr müsst mich schon mitnehmen.«
Friedrich dämpfte jedoch seinen Enthusiasmus erneut. »Wer sagt dir, dass wir überhaupt fahren wollen?«
Vanderborg wirkte einen Moment verwirrt. »Nicht? Ihr wollt nicht zu Estelle fahren?«
Nun mischte auch ich mich ein. »Wir sind zumindest noch nicht sicher. Der Weg ist lang und nicht ungefährlich, zudem wissen wir nicht, was uns auf Burg Przytulek erwartet.«
»Wenn ihr nicht hinfahrt, werdet ihr es nie erfahren.«
So ein alter Dickkopf, dachte ich, blieb aber weiter unentschieden.Friedrichs Vermutung, dass Estelle diesen Brief nicht freiwillig geschrieben hatte, ließ mich nicht ruhen. Wenn es so wäre, würden wir uns auf ein höchst waghalsiges Abenteuer einlassen, von dem niemand vorhersehen konnte, wie es endete.
»Lass uns noch etwas Zeit zum Überlegen«, bat ich also den Großvater. Der nickte entspannt und sagte: »Natürlich, natürlich, mein Kind, auf ein paar Tage kommt es nun auch nicht mehr an. Ich werde mich inzwischen schon mal nach Zugverbindungen nach Krakau und Anschlussmöglichkeiten in die Karpaten erkundigen.«
Als ich mit Friedrich den Salon verließ, meinte er. »Er ist ein Sturkopf ! So wie ich das sehe, wird Estelle über kurz oder lang Besuch aus Deutschland bekommen. Wenn du mich brauchen kannst, ich bin dabei.«
Statt mich über dieses Angebot zu freuen, schwand mir jedoch plötzlich der Mut und so flüsterte ich verzagt: »Ich habe Angst, Friedrich, so schreckliche Angst. Eine böse Vorahnung sagt mir, dass dort nichts Gutes auf uns warten kann.«
»Wie habt ihr nun entschieden?«, fragte der Großvater bereits am nächsten Tag, als wir mit Lenz nach der Analysestunde beim Tee zusammensaßen.
Ich schaute Friedrich an und Friedrich mich. Conrad Lenz sah von der Zeitung auf, die er schon die ganze Zeit mit sichtlichem Übereifer studiert hatte, um zu verbergen, dass er uns sehr neugierig belauschte.
»Wir fahren«, sagte ich und gab meiner Stimme eine entschlossene Festigkeit, mit der ich die immer noch vorhandene Unsicherheit übertünchen wollte. Es gab so viele Bedenken und Einwände, aber da Vanderborg sich umnichts auf der Welt davon abhalten lassen würde, zu seiner tot geglaubten Tochter zu fahren, war mir das Heft praktisch aus der Hand genommen. Friedrich würde ihn nie alleine fahren lassen, und wenn ich meine Mutter je wieder sehen wollte, hatte ich keine andere Wahl, als mich den beiden anzuschließen. Überraschenderweise machte sich Conrad zu einem weiteren Fürsprecher der Reise. Noch ehe Großvater Vanderborg oder Friedrich das Wort ergreifen konnten, sprang er auf und beglückwünschte mich zu diesem Entschluss.
»Es ist das Beste, was du tun kannst, Amanda. Die Begegnung mit deiner Mutter wird dich endgültig von deinem Trauma befreien. Was immer zwischen euch steht, wir werden es gemeinsam bearbeiten können …«
Diese Euphorie war Friedrich nun doch zu viel und er sagte reichlich sarkastisch: »Der Herr Doktor gedenkt also mitzureisen?«
Lenz schwieg verwirrt.
»Äh, ja, wenn es denn genehm ist …«
»Das eben frage ich mich«, sagte Friedrich ziemlich kühl. »Es scheint mir doch mehr eine Privatsache zu sein.«
Mir drängte sich die Szene auf, wie Utz und meine Mutter miteinander gekämpft hatten, zwei fauchende Vampire, die einander nichts schenkten, bis Utz schließlich die Oberhand gewann … Übelkeit befiel mich, als ich mir vorstellte, was meine Mutter wohlmöglich auch jetzt noch bei ihm auf seiner Burg erleiden musste. Die Vampirin in ihr hatte eine lange Reihe seiner Ahnen mit ihrer Rache verfolgt und getötet, nun war es an ihm, sie seine Rache spüren zu lassen.
Drei Jahre, dachte ich, mehr als drei Jahre ist sie schon in seiner Gewalt, wie konnte sie das überleben?
Die Zeit drängte. Jede Minute, die verstrich, bedeutete für sie unnötige Qual.
»Wir brechen auf, so schnell es geht«, sagte ich entschlossen. »Jeder ist willkommen, der unsere Reise unterstützt.« Ich sah Friedrich scharf an. »Das gilt auch für Dr. Lenz.«
Obwohl ich mir nicht sicher war, ob
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