Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Liebe. Aber ihre Kraft schien gebrochen, und das Einzige, woran sie denken und worüber sie reden mochte, waren die beiden Männer an der Front. Mein Vater und Onkel Friedrich.
»Du verstehst das nicht, Amanda«, sagte sie immer wieder, wenn ich sie bat, doch ein wenig mehr Anteil auch an meinem Leben zu nehmen. »Ohne Amadeus und Friedrich wird das Leben für mich unerträglich. Sie sind Liebe und Hoffnung, und wenn sie nicht zurückkämen, wäre mein Dasein ohne Sinn.«
Sie sagte es in dieser Brutalität, ohne Rücksicht auf meine Gefühle. Im Bewusstsein, dass ich ihr nichts bedeutete, lief ich hinaus hinter das Haus, damit sie meine Tränen nicht sah. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, dass sie mich nicht wirklich liebte, dass sie mein Heranwachsen mit skeptischen, zweifelnden Blicken verfolgte, aber ich hatte gehofft, dass ich mich darin irrte. Diesmal jedoch war ich so voller Trauer und Wut, dass ich mir eine der umherstreunenden Katzen griff, ihr den Hals umdrehte und sie aussaugte. Und als Karl mich entdeckte, schleuderte ich sie ihm vor die Füße. Er schrie panisch auf und stürzte zurück ins Haus, wo ich ihn laut nach seiner Mutter schreien hörte.
Meine Mutter ermahnte mich und Tante Gertrud gab mir ein Buch mit dem Titel »Der Wildfang von Wulkow« von Marie von Felseneck zu lesen, in dem ein frei aufgewachsenes Mädchen zu einer angepassten Dame der Gesellschaft umerzogen wurde. Typisch Tante Gertrud!
Dennoch … ich hatte tatsächlich glückliche Jahre auf Blankensee … vor dem Krieg.
Oft saß meine Mutter mit mir in der Bibliothek und las mir Gedichte vor, sie sang mich in den Schlaf, sie küsste meine Stirn und heilte meine kleinen Verletzungen … sie sagte, dass ich ein Kind des Glücks sei, und Amadeus war der beste Vater der Welt …
»Woran hast du dich soeben erinnert, Amanda?«, fragte Lenz, dem das Abschweifen meiner Gedanken natürlich nicht verborgen geblieben war.
Er betrachtete mich ein wenig sorgenvoll, was wohl damit zusammenhing, dass mein Gesicht wieder einmal ein Spiegel meiner widerstreitenden Gefühle gewesen war.
»Nichts, was zur Besorgnis Anlass gäbe«, sagte ich mit einem aufgesetzten Lächeln. »Ich dachte an das Glück von Blankensee, und ich stellte es mir als einen Krug aus glitzerndem Kristallglas vor, der an einem Blutbrunnen zu Bruch ging, weil man zu oft aus ihm getrunken hatte. Immer sehe ich das Haus geteilt vor mir in einen hellen, lichten und in einen dunklen Teil, und ich weiß, dass ich auf die dunkle Seite gehöre, von der das Glück sich abwendet …«
»Aber das ist nicht so, Amanda, es ist nur das Dumpfe, das Unbewusste, das dir solche Bilder als Realität vorgaukelt. Es sind nur Symbole, die dir helfen sollen, mit den Bedrohungen und Enttäuschungen der Vergangenheit fertigzuwerden. Sie haben keine Aussagekraft für die Zukunft. Verstehst du? Es ist ganz wichtig, dass du begreifst, diese Dinge gehören der Vergangenheit an, und wir verwehren ihnen gemeinsam, auf dein gegenwärtiges und zukünftiges Leben Einfluss zu nehmen.«
»Dann lass uns handeln, Conrad«, sagte ich und wusste nun, dass ich ihn brauchen würde. Seinen klaren, analytischen Kopf in einem Meer dumpfer Emotionen. So sprach ich noch einmal von der Ehe meiner Mutter mit Utz und erzählte ihm schließlich von ihrer grauenvoll gewalttätigen Entführung, die ich versteckt in der Bibliothek miterlebt hatte. Das Einzige, was ich ihm aus der dunklen Chronik der Vanderborgs verschwieg, war die Tatsache, dass wir Vampire waren. Meine Enthüllungen erschütterten ihn allerdings auch so schon zutiefst, aber er bot mir dennoch sogleich seine Hilfe an, und als sich unsere Blicke begegneten,fühlte ich, dass er mich mit den Augen der Liebe ansah.
»Dann komm mit uns nach Przytulek in die Karpaten, Conrad. Lerne meine Mutter kennen und hilf mir zu verstehen … zu verzeihen … und sie, falls es nötig sein sollte, aus der Gewalt von Utz zu befreien.«
Also war es abgemacht.
Es dauerte dann allerdings wegen des vorzeitigen Wintereinbruchs in der Hohen Tatra noch bis zum Frühjahr 1924, ehe wir unser Vorhaben in die Tat umsetzen konnten.
Dann berichtete Großvater Vanderborg endlich vom einsetzenden Tauwetter, und wenige Tage später ließ sich Friedrich – mit welcher Drohung er das auch immer geschafft hatte – von Hansmann mit dem nötigem Kleingeld ausstatten und wir brachen in die Karpaten auf.
W
ir nahmen den Nachtzug nach Krakau, von wo aus wir mit einem gemieteten
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