Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Automobil selbstständig weiterreisen wollten. Die Fahrt war lang, und während die Männer die Zeit mit Diskussionen über die politische Lage der Republik ausfüllten, schaute ich immer mal wieder aus dem Fenster und hing meinen Gedanken nach.
Ich war aufgewühlt und in meinem Inneren mit mir selbst zerstritten, denn ich wollte zwar meine Mutter wiedersehen, aber ich fürchtete mich auch davor. In welchem Zustand würde ich sie antreffen? War es ihr ähnlich gegangen wie mir in der Irrenanstalt? Hatte man sie so lange gequält, bis von ihr nichts mehr übrig war als eine versteinerte emotions- und seelenlose Hülle? Und warum hatten sie und Utz mich nach Przytulek eingeladen? Würde er Ansprüche auf mich als seine eheliche Tochter geltend machen?
Immer wieder kreisten meine Gedanken um meine Mutter. Obwohl ich doch aus der Familienchronik erfahren hatte, unter welchem dunklen Stern ihr Leben gestanden hatte, war sie kaum mehr als ein diffuser Schatten aus meiner Vergangenheit. Ich hatte noch so unendlich viele Fragen an sie. Würde sie am Ende dieser Reise konkrete Gestalt annehmen und mir endlich Antwort darauf geben?
Als sich Friedrich zum Rauchen in den Gang an ein Fenster stellte, gesellte ich mich zu ihm und sprach über meine Gedanken. Er sah mich lange nachdenklich an, und ich spürte, wie es hinter seiner Stirn arbeitete.
»Amanda, du kennst das Schicksal deiner Mutter aus der Familienchronik. Du weißt, dass sie eine Vampirin ist und nicht der Biss eines anderen Vampirs, sondern das Experiment deines Großvaters sie dazu gemacht hat. Es bewirkte, dass in einer Gewitternacht in den Karpaten die Seele von Eleonore, einer uralten Vampirin, in den Körper meiner Schwester Estelle fuhr und ihr Dasein fortan unter einen Fluch zwang, den die Vampirin gegen das Geschlecht der Grafen von Przytulek ausgesprochen hatte.«
»Du meinst, dass sie jeden männlichen Nachkommen dieses Geschlechts ausrotten würde?«
Friedrich nickte. »Mehr als vierhundert Jahre ist sie auf der Fährte der Grafen durch Europa geirrt, nur um festzustellen, dass ihr immer wieder einer entkam. Als sie endlich glaubte, in Estelles Körper Erlösung zu finden, begegnete ihr Utz und das Unglück begann von Neuem.«
»Wieso? Hätte sie nicht auf diese unselige Ehe verzichten und Amadeus heiraten können?«
Friedrich schüttelte den Kopf.
»Es mag seltsam klingen, Amanda, aber ein Fluch hat seine eigenen Regeln und beeinflusst das Schicksal aufganz unkalkulierbare, aberwitzige Art. Er führte dazu, dass deine Mutter Dinge tat, die kein Mensch bei klarem Verstand getan hätte. Auch mir erschloss sich der geheime verborgene Sinn dahinter erst, als Utz uns hohnvoll eröffnete, dass er ein illegitimer Nachkomme der Grafen von Przytulek ist. Deine Mutter brach darüber völlig zusammen, denn ihr ganzes Dasein als Vampirin schien plötzlich ohne jeden Sinn. Solange Utz lebte, war das Geschlecht der Przytuleks nicht ausgerottet, der Fluch nicht erfüllt und somit eine Erlösung für sie nicht möglich.« Friedrich warf den Rest der Zigarette aus dem Fenster.
»Warum, erzählst du mir das … warum jetzt?«
Er zündete sich die nächste an. »Weil diese Mission gefährlich ist und ich dir darum diese Dinge noch einmal ganz klar vor Augen führen will. Wir dürfen, was immer auch geschieht, nie vergessen, dass Estelle eine ständige Gefahr für Utz bedeutete. Darum hat er sie in seine Gewalt gebracht. Wenn er sie nicht doch längst getötet hat, dann nur deswegen, weil er auch dich will. Solange sie lebt, kann sie für ihn der Köder sein, mit dem er dich fängt, denn er kann nicht sicher sein, dass der Fluch nicht auch auf dich übergegangen ist und du ebenfalls zu einer Gefahr für ihn werden könntest.«
Ich schwieg betroffen. Die Nacht vor dem Fenster erschien mir schwärzer noch als zuvor. Vielleicht war sie aber auch nur ein Abbild meiner dunklen Empfindungen.
»Dann sind wir also doch dabei, ihm geradewegs in seine Falle zu tappen?«
Friedrichs immer noch schönes und jugendliches Gesicht wirkte verhärmt.
»Ich hoffe, wir finden einen Weg, Estelle aus seiner Gewalt zu befreien. Aber wir müssen auf der Hut sein undsehr vorsichtig zu Werke gehen. Niemand weiß, wie wir Estelle vorfinden werden, aber ich bin sicher, was immer sie auch ertragen musste, die Liebe zu dir wird sie am Leben erhalten haben.«
Ich schüttelte den Kopf, denn ich konnte nicht begreifen, wie Friedrich das, nach dem, was er mir gerade erzählt hatte, sagen
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