Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
hatte Sinn für Effekte und wusste sie gekonnt einzusetzen. Zum ersten Mal nahmich ihn nun bewusst wahr und ich muss zugeben, dass ich beeindruckt war. Er war groß und kräftig gebaut und wirkte außerordentlich vital und dynamisch, obwohl er deutlich über vierzig Jahre alt sein musste. Er hatte dichtes blondes Haar und seine Augen waren von einem genauso intensiven Blau wie die meinen. Das irritierte mich ungemein, denn es stellte eine auffallende Ähnlichkeit zwischen uns her, die auch der Großvater sofort bemerkte.
Zwei Neger, deren schwere eiserne Fußreifen sie als Sklaven auswiesen und die lediglich mit einer orientalischen Pluderhose bekleidet waren, flankierten ihn mit brennenden Fackeln. Die Muskeln ihrer geölten nackten Oberkörper waren gestählt und außerordentlich beeindruckend. Seine Leibwächter, dachte ich erschüttert, und fühlte meine Hoffnung, ihn überwältigen zu können, schwinden. Hier am Sitz seiner Ahnen war uns Utz eindeutig überlegen. Nur eine wahnsinnige Hybris konnte uns verleitet haben, uns so blauäugig in seinen Machtbereich zu begeben. Ein Zittern überfiel meinen ganzen Körper, und weil der Großvater es bemerkte, legte er beruhigend seine Hand auf meinen Arm und flüsterte: »Bist du auch so fasziniert und aufgeregt?«
Ich riss mich zusammen.
Utz hatte inzwischen einen Weinpokal erhoben und stand nun vor einem der Prunkstühle an der Tafel. Er sah verwegen aus in seinem edlen mittelalterlichen Wams mit offenem Hemd und die blauen Augen leuchteten mit einer erschütternden Selbstgewissheit. Der Mann kannte keine Zweifel und war vom Erfolg verwöhnt, das sah man auf den ersten Blick. So wunderte es mich nicht, dass seine Stimme bei seinen Begrüßungsworten fest und tragend durch den Saal schallte.
»Willkommen auf der Burg meiner Ahnen, der Grafen von Przytulek«, sagte Utz und deutete mit der Linken auf das Gemälde direkt an seiner Seite. »Besonders Graf Ladislav wird Ihr Besuch an diesem Ort freuen, doch dazu später mehr.« Er prostete uns zu.
»Auf einen angenehmen Aufenthalt und vor allem eine glückliche Familienzusammenführung! Na zdrowie!«
Wir erhoben ebenfalls die Gläser, und als ich den Trank zum Munde führte, merkte ich, dass es Blut war.
Ich sah entsetzt zu meinem Großvater hinüber, aber dieser schien Rotwein in seinem Glas zu haben, jedenfalls wirkte er völlig entspannt und schien den Tropfen zu genießen. Wieder stellte ich fest, dass ich als Vampirin eine bevorzugte Behandlung erfuhr.
Utz musste sich sehr sicher fühlen, wenn er es sich leisten konnte, mir einen derart vitalisierenden Genuss zu gönnen, denn jeder Schluck machte mich stärker. Aber wohl kaum stark genug, dachte ich resignierend, als mein Blick wieder auf die riesigen Neger fiel.
Meine Unruhe wuchs. Wo blieb meine Mutter? Warum war sie nicht zusammen mit Utz hereingekommen, um uns ebenfalls zu begrüßen?
Auch Großvater Vanderborg wurde nun sichtlich ungeduldig. Er beugte sich über den halben Tisch zu mir herüber und flüsterte:
»Wo bleibt Estelle? Was soll der Mummenschanz? Ich will meine Tochter sehen!«
»Pst«, zischte ich ihm zu. »Contenance, Großvater. Bitte bewahre Haltung. Sie wird schon kommen.«
Zuvor aber machte sich Utz offenbar einen Jux daraus, uns weiter auf die Folter zu spannen. Denn er bat uns nun, ordentlich beim Essen zuzulangen, und erst als Vanderborgsich an den Spezereien bedient hatte und wirklich mehr als gesättigt war, leitete er den zweiten Teil der Inszenierung ein.
Er neigte sich mit einer wie einstudiert wirkenden Geste zu den Musikantinnen hinüber und sagte: »Spielt, und du, Melinda, sing, unsere Gäste sollen sehen, dass wir auch kulturelle Genüsse in unserem Hause pflegen.«
Es wurde orientalischer Mokka für Vanderborg hereingebracht, und Melinda stand auf, um ihr Lied zum Besten zu geben. Unter ihrem dünnen Kleid war sie vollkommen nackt. Ihre Stimme war wirklich schön und schmelzend, aber von einer Traurigkeit, die mir sogleich zu Herzen ging, und ich fragte mich, woher die Mädchen eigentlich kamen, die Utz hier zu Diensten waren. Aus dem Ort konnten sie nicht stammen, denn der war ja praktisch ausgestorben … Ich stockte, denn mir kam ein widerwärtiger Gedanke … aber nein, Utz konnte nicht die Mädchen des Ortes versklavt haben! Aber warum eigentlich nicht? Schließlich hatte ich ja gesehen, was er meiner Mutter bei ihrer Entführung angetan hatte.
»Mein Liebster ist ein Weidenstrauch
Ihm klag ich all mein
Weitere Kostenlose Bücher