Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
diese Leute vom See nicht auch unsere Freunde auf dem Gewissen haben. Solange sie hier die Gegend unsicher machen, kannst du auf keinen Fall alleine auf dem Gut bleiben.«
Natürlich hatte er aus seiner Sicht recht, denn er wusste ja nicht, dass ich mich in das geheime Gewölbe zurückziehen konnte und außerdem unter dem Schutz von Amadeus stand, auch wenn der mir heute wenig genützt hatte. Er hätte schließlich auch an die Gefahr durch Utz’ Werwölfe denken können. Schließlich kannte er sich mit mystischen Wesen sehr viel besser aus als ich.
Ich baute also meinen Schlafsack und die Isomatte wieder in der Bibliothek des Gutshauses auf und Marc pflanzte die seine daneben. Man merkte ihm an, dass er sich dabei alles andere als wohlfühlte, denn er war ja zum ersten Mal nach dem Mord an unseren Freunden wieder auf dem Gut.
Ganz sicher hätte er angesichts der schrecklichen Erinnerung gerne darauf verzichtet, hier zu übernachten, aberda ich mich weigerte, mit nach Berlin zu kommen, blieb ihm nichts anderes übrig.
Mittags fuhren wir zum Essen nach Blankensee und am Abend saßen wir auf der Bank vor dem Haus, tranken Rotwein, den wir vom Kiosk aus dem Ort mitgebracht hatten, und redeten noch bis spät in die Nacht über Gott und die Welt, um uns von der Tragödie, die in unserer unmittelbaren Nähe stattgefunden hatte, abzulenken. Schließlich gingen wir aber doch in die Bibliothek und schliefen nach dem Austausch von ein paar Zärtlichkeiten ein.
Ich erwachte von einer kühlen Berührung im Gesicht und schreckte sogleich panisch hoch. Zu sehr erinnerte sie mich an das Erlebnis in der Mordnacht.
»Tsch …«, hörte ich jedoch jemanden sagen und erkannte zu meiner Erleichterung Amadeus’ Stimme.
»Wie kannst du mich so erschrecken?«, wisperte ich.
»Wie kannst du ihn mit herbringen!« Amadeus klang wie ein beleidigter Liebhaber.
Ich kroch aus dem Schlafsack. »Das müssen wir ja wohl nicht hier besprechen«, fauchte ich leise und ging zum Küchenausgang.
Amadeus folgte mir in den Garten, wo wir uns im Licht des abnehmenden Mondes auf die Steinbank bei dem alten Rosenstock setzten. Er verströmte einen so süßen, betörenden Duft, als hätte gerade jemand einen Parfümflakon an dieser Stelle leer gesprüht.
»Also«, setzte Amadeus noch einmal an, »wieso bringst du ihn mit hierher?«
»Ich habe ihn nicht hierhergebracht! Er ist von alleine gekommen und zwar gerade im richtigen Augenblick, um mich vor Utz’ Werwölfen zu retten, während du ein gemütlichesNickerchen gemacht hast!« Ich zeigte ihm meine blauen Flecken.
Er reagierte alarmiert und auch ein wenig schuldbewusst. Andererseits meinte er: »Wie konntest du auch alleine ohne Schutz aus dem Haus gehen und dann noch bis hinunter an den See?«
»Wie konntest du mich gehen lassen?! Hast du mir nicht noch empfohlen, das Badetuch auch nicht zu vergessen?«
Amadeus nickte einsichtig und versuchte zärtlich zu sein, aber nach dem, was heute Morgen zwischen mir und Marc passiert war, war mir das jetzt direkt unangenehm. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass er es nur tat, um seine zweifellos vorhandene Eifersucht zu betäuben, und das passte mir überhaupt nicht.
Ich schob ihn also sanft zurück und lenkte das Gespräch auf Estelle und ihren Amadeus.
»Ich verstehe jetzt, warum du so ablehnend reagiert hast, als ich dich das erste Mal bei deinem Namen nannte.«
»Ach ja?« Es klang zynisch.
Hm, da war aber jemand beleidigt, dass ich ihn zurückgewiesen hatte. Aber ich war schließlich nicht promiskuitiv.
Offenbar war Amadeus wieder in meine Gedanken eingedrungen, jedenfalls brauste er auf: »Estelle war nicht promiskuitiv! Sie hat immer nur …« Er stockte.
»Ja? Was wolltest du sagen? Wen hat sie immer nur … geliebt? Deinen Urahn Amadeus?« Und von einem plötzlichen Misstrauen befallen forderte ich: »Wie wäre es, wenn du mir endlich erklären würdest, warum es dich seinerzeit so nervös gemacht hat, als ich dich spontan mit diesem Namen angesprochen habe? Dich Amadeus nannte. Störte es dich, weil du wusstest, dass sich dein Urahn unehrenhaft verhalten hatte? Weil er eine junge, unschuldige Frau dazuverleitet hatte, die Ehe zu brechen und ihrem gesetzlichen Ehemann fortlaufend Hörner aufzusetzen? Willst du nicht daran erinnert werden, dass es einer deiner Vorfahren war, durch den nicht nur Estelle, sondern alle ihre Nachkommen ins Unglück stürzten?«
Erneut schüttelte er den Kopf. Sein aristokratisches Gesicht wirkte
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