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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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Überwachung war so perfide und perfekt wie unter der Hitler-Diktatur, und die persönliche Freiheit, wie auch die von Meinung und Presse, waren zu einer schmerzlichen Erinnerung verkommen. Volkspolizei und Staatsicherheit sicherten die Regierung vor dem Volk und kaum etwas konnte diesen Zustand der Entfremdung treffender beschreiben als ein geflügeltes Wort, das von Brecht kolportiert wurde. Darin empfahl er der Regierung, sich doch ein anderes Volks zu wählen, wenn ihr das gegenwärtige so wenig passe! Dass Präsident Wilhelm Piek von dem »Spitzbart« Walter Ulbricht abgelöst wurde, änderte daran auch nichts. Wer überleben wollte, musste sich mit dem System arrangieren, verriet sich und seine Individualität an den Popans»Kollektiv« und opferte seine Kreativität und Intelligenz als braver Volksgenosse der Dummheit und Arroganz, der Selbstbespiegler.
    Robert steckte mittendrin. Es war beunruhigend, wie unwidersprochen er sogar die Wiederbewaffnung der DDR hinnahm. Auch ich lebte eine Scheinexistenz … wobei ich es als Vampirin ja gewöhnt war, mich in den abenteuerlichsten Verhältnissen einzurichten und mein wahres Wesen davon unberührt zu lassen. Jetzt verband ich meine Agententätigkeit natürlich praktischerweise mit der Jagd nach passender Nahrung, was in den Westberliner Zeitungen, als man die ersten Opfer fand, zu wilden Spekulationen über einen Serienmörder führte.
    Ich ging noch vorsichtiger zu Werke und erlaubte mir ansonsten ein recht prickelndes Leben, das dem der Mata Hari kaum nachgestanden haben dürfte.
    Hannah war begeistert, dass ich sie durch meinen Job regelmäßig mit westlichen Jeans und Schallplatten versorgen konnte, womit sie bei ihren Freundinnen zweifellos punktete. Den Lehrern gefiel das allerdings weniger, und es war ein herber Rückschlag für Robert, als man uns androhte, Hannah vom Gymnasium zu verweisen, weil sie sich zu offensichtlich mit den Attributen westlicher Dekadenz umgab. Wir ruderten also etwas zurück, denn niemand wollte Hannahs Abi und ihren Studienplatz gefährden. Immer mehr Menschen, David sprach von fast zweihunderttausend, »machten in den Westen rüber«.
    Auch ich begann darüber nachzudenken und fragte mich nach jedem Zusammensein mit David, wie lange ich dieses verlogene Spiel noch mitspielen wollte.
    Domanski war natürlich begeistert über meinen vollen Körpereinsatz bei dieser Mission, aber Robert würde es wohl kaum in gleicher Weise enthusiastisch feiern, wenn es ihm zu Ohren käme. Wasüber kurz oder lang passieren musste, da nichts in diesem Staat so geheim war, als dass es nicht in der SED bald jeder PG von den Dächern pfiff.
     
    Ich stand auf, holte mir ein Glas Wasser aus der Küche und nahm die Schokolade, die auf dem Küchentisch lag, gleich mit. Ein kleiner Stimmungsaufheller konnte nicht schaden. Während ich weiterlas, schlang ich die ganze Tafel Stück für Stück in mich hinein.
     
    Berlin, August 1961
     
    Im Frühsommer des Jahres 1961 war ich das Doppelspiel leid und mein Entschluss stand fest. Ich würde die DDR verlassen. Mit oder ohne Robert.
    David hatte mich mit auf sein Hotelzimmer genommen. Wir hatten uns geliebt, und ich fühlte mich zum ersten Mal seit Monaten wieder in der Umarmung eines Mannes geborgen, sodass ich nicht das geringste Bedürfnis verspürte, ihn zu beißen.
    »Ich helfe dir, Lysette, wenn du in den Westen kommst«, hatte David versprochen. »Aber wenn du es jemals ernsthaft vorhast, dann tu es bald. Wir haben Informationen, dass die DDR plant, die illegale Abwanderung von Fachkräften mit gravierenden Maßnahmen zu unterbinden. Der Reiseverkehr zwischen den beiden deutschen Staaten dürfte in Kürze massiv eingeschränkt werden.«
    »Aber das wird mich nicht betreffen«, wehrte ich seine Bedenken ab. »Ich bin ihnen als Informantin viel zu wertvoll.«
    »Man weiß es nicht, Lysette.« Er küsste mich zärtlich. »Ich wüsste dich lieber hier als dort.«
    »Du weißt, dass ich eine Tochter habe …«
    »Bring sie mit!«
    »… und verheiratet bin.«
    Er lachte. »Lass ihn dort!«
     
    Das wäre nicht schwer gewesen, denn im Gegensatz zu mir wollte Robert nicht fort.
    »Was soll ich drüben, Lysette
?
Ich glaube an den Sozialismus und, wenn du so willst, auch an den Arbeiter-und-Bauern-Staat. Ich will hier an seinem Aufbau weiterarbeiten und mich nicht im kapitalistischen Westen zum Knecht des US-Wirtschaftsimperialismus machen lassen.«
    »Schlagworte!«, entgegnete ich ihm entrüstet. »Nichts als

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