Die Dunkle Erinnerung
berührte seinen Arm. Der Junge zuckte zusammen, erst jetzt sah Erin den Verband. »Wie ist das passiert?«
»Ich wollte abhauen, da hat mich einer von seinen Hunden erwischt.«
»Auch im Gesicht?«
Der Junge erschauerte. »Nein, das war Trader.«
Erin wusste, wie verängstigt er war, und hielt die Lampe an ihre Schläfe, damit der Junge ihre Risswunde sehen konnte. »Ich glaube, diesen Trader kenne ich. Komm, wir bringen dich ins Krankenhaus.«
Hinter ihr sprach Donovan in sein Handy. Er rief Verstärkung und einen Rettungswagen.
»Warten Sie«, sagte Ryan. »Cody braucht Ihre Hilfe dringender als ich.«
Erin erstarrte.
»Cody?« Nun trat Donovan doch in die Box.
Ryan schaute zu ihm hoch. »Trader will ihn heute Nacht holen. Sie schicken ihn ganz weit weg. Ins Ausland. Sie müssen Cody helfen!«
»Wo ist er denn?«, fragte Donovan und kniete sich neben Erin.
»Im Herrenhaus.«
»Weißt du, wo das liegt?«
Ryan zögerte. »Ich glaub schon. Aber nachdem wir versucht haben zu fliehen …« Er schüttelte den Kopf. »Ich bin mir nicht mehr so sicher.«
»Cody wollte auch fliehen?«, fragte Erin.
»Ja, aber die Hunde haben uns erwischt. Dann haben die Wachen mich im Keller eingesperrt, aber Cody haben sie wohl zurück ins Zimmer gesteckt.«
»War er auch verletzt?«
»Glaub ich nicht. Aber Sie müssen ihn da rausholen!« Ryan blickte vom einen zum anderen. »Herrick hat gesagt, er kann nichts tun. Sie schon! Ich soll Ihnen auch ausrichten, dass er sich um die Kameras kümmert.«
Erin schaute Donovan an. In seinen Augen las sie Entschlossenheit. Ja, sie würden in dieses Haus eindringen, egal, um welchen Preis. Dies hier war der letzte Anstoß gewesen, den sie gebraucht hatten.
30.
Alec war nicht bereit, das Leben eines Kindes für ein anderes aufs Spiel zu setzen.
Deshalb warteten sie zuerst auf den Rettungswagen, trotz Ryans Beteuerungen, dass ihnen keine Zeit mehr blieb. Als das Fahrzeug in Begleitung mehrerer Streifenwagen der Ortspolizei eintraf, wusste Alec den Jungen in guten Händen und konnte sich beruhigt auf den Weg machen.
Er fuhr mit Erin zu Nevilles Landsitz.
Im Wagen besprachen sie ihren Plan, falls man ihn so nennen konnte. Denn im Grunde konnten sie nur hoffen, dass Herrick die Kameras lange genug ausgeschaltet ließ, sodass ihnen Zeit genug blieb, ins Haus einzudringen, den Jungen herauszuholen und ungesehen zu verschwinden.
Alec wusste natürlich, dass es nicht so glatt abgehen würde. Doch sie hatten keine andere Wahl. Sie waren im Begriff, eine illegale Razzia im Hause eines Diplomaten durchzuführen. Dabei würden sie zwangsläufig gegen mehrere Gesetze verstoßen und liefen Gefahr, für sehr lange Zeit aus dem Verkehr gezogen zu werden. Sie konnten weder Verstärkung noch Hilfe hinzuziehen oder gar den vorgeschriebenen Dienstweg einhalten. Selbst wenn dies möglich gewesen wäre – was Alec bezweifelte –, hätten sie Cody Sanders nicht mehr retten können.
Wie besprochen hielt Alec auf dem Seitenstreifen, sodass sie vom Wärterhäuschen aus nicht zu sehen waren. Rasch checkten sie ihr Waffenarsenal und steckten zusätzliche Magazine ein. Alec hatte eine SIG und zur Sicherheit noch eine Glock in einem Halfter am Knöchel, Erin hatte Cathys Glock und ihre eigene Ruger.
»Bereit?«, fragte sie.
Alec holte tief Luft. »Mehr als das.«
Erin lächelte gequält und machte die Tür auf.
»Erin«, sagte er, und sie drehte sich zu ihm um. »Sei vorsichtig.« Das ›Du‹ war ihm einfach herausgerutscht.
Sie grinste nur. »Bin ich doch immer.« Kurzes Zögern. »Wie du.« Dann drückte sie leise die Wagentür zu und verschwand zwischen den Bäumen.
Alec zählte langsam bis hundert, ließ dann den Motor an und fuhr auf das Parktor zu. Nevilles Wachmann kam zum Seitenfenster, das Alec bereits heruntergelassen hatte. Seine FBI-Marke hielt er in der Hand.
»Special Agent Donovan, FBI. Ich muss General Neville sprechen.«
Der Wachmann schüttelte den Kopf. »Ist nicht da.«
»Was meinen Sie damit, er ist nicht da? Ich habe einen Termin.«
»Er ist nicht da.«
Alec sah eine plötzliche Bewegung hinter dem Mann. »Sie sollten lieber mal Ihren Chef fragen, Kumpel, denn …«
Mit einem Stöhnen ging der Wachmann zu Boden. Erin hatte ihn mit dem Pistolenkolben bewusstlos geschlagen.
Alec sprang aus dem Wagen. »Ich übernehme ihn. Du kümmerst dich um das Tor.«
Er packte den Mann unter den Achseln und zerrte ihn ins Gebüsch, während Erin am Eisentor hinaufkletterte,
Weitere Kostenlose Bücher