Die Dunkle Erinnerung
Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. »Sie haben ihn gefunden. Er ist tot.«
»Tot? Wie ist das passiert?«
»Sieht nach Selbstmord aus.«
Nein. Das nahm Erin denen nicht ab. »Das kann ich nicht glauben.« Ihr Angreifer war alles andere als ein Selbstmordkandidat gewesen.
»Sie haben ihn in einem Motel in der Nähe von Warrenton gefunden. Einer der Gäste hat den Schuss gehört.«
Das musste ein Trick sein, eine Falle. Plötzlich bemerkte Erin Donovans Blick. Er hielt irgendetwas zurück.
»Was noch?«
»Er hat einen Abschiedsbrief hinterlassen.« Alec zögerte, offenbar nicht erfreut über diese jüngste Entwicklung. »Er ist an Sie gerichtet.«
Sunshine Manor war eine Absteige.
Das Motel lag am Stadtrand von Warrenton an einer zweispurigen Straße, die nach dem Bau der Interstate zur Nebenstrecke verkommen war. Die Häuschen waren in Hufeisenform angelegt und schrie geradezu nach einem frischen Anstrich. Wie es drinnen aussah, wollte man gar nicht erst genauer wissen.
Mehrere Streifenwagen versperrten die Einfahrt. Die Blaulichter flackerten im Nieselregen. Alec hielt, zeigte seine Marke vor und wurde durchgewinkt. Er stellte den Wagen ab. Cathy Hart kam ihnen entgegen.
»Kein schöner Anblick«, sagte sie zu Erin. »Sind Sie sicher, dass Sie sich das antun wollen?«
Erin verzog das Gesicht. »Natürlich würde ich gern darauf verzichten, aber ich muss ihn mit eigenen Augen sehen.« Bevor sie nicht Gesicht oder Hände des Mannes gesehen hatte, konnte sie nicht an seinen Tod glauben.
»Also gut.« Cathy trat beiseite. »Fassen Sie aber nichts an.«
Wie erwartet sah das Motel drinnen noch schlimmer aus als draußen. Der Wandanstrich war so alt, dass er grau geworden war, der Teppich war fadenscheinig, und auf einer wackligen Kommode war ein vorsintflutlicher Fernseher festgeschraubt. Und als Krönung des Ganzen lag Jacob Holmes' Leiche auf dem Bett, in frisch gebügelten Khakihosen und marineblauem Polohemd. Die flinken Hände mit den langen Fingern schlaff neben dem Körper. Auf dem Boden lag ein .38er Colt Revolver. An der rechten Hand der Leiche war der schwere Silberring zu sehen, der Erins Haut aufgerissen hatte. Und in der Schläfe befand sich ein sauberes kleines Loch.
»Er ist es«, sagte Erin und wandte sich zum Gehen.
Alec folgte ihr nach draußen. »Alles okay?«
Erin antwortete nicht. Sie machte, dass sie so schnell wie möglich aus dem schäbigen Zimmer kam. Sie wollte so gern glauben, dass Holmes tot war, dass der Mann auf dem Bett der Magician war, dieses Ungeheuer, das ihrer Schwester das Leben gestohlen und sie im Wald angegriffen hatte. Doch selbst jetzt, wo sie ihn gesehen hatte, konnte sie es immer noch nicht glauben.
»Erin?«
Sie blickte auf, sah Donovans besorgtes Gesicht. »Es geht schon«, sagte sie, als ihr klar wurde, dass er ihr Schweigen falsch verstanden hatte. »Ich brauche nur mehr Beweise, bevor ich glauben kann, dass er es wirklich ist.«
»Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein«, meinte Cathy. Sie hielt Erin einen durchsichtigen Plastikbeutel hin, in dem sich ein Brief befand.
Ohne die Tüte in die Hand zu nehmen, las Erin:
An meine Freundin Officer Erin Baker.
Sie haben gewonnen. Oder vielleicht doch nicht? Genießen Sie Ihr Lehen, aber vergessen Sie ja nicht, stets über die Schulter zu schauen. Ach ja – und passen Sie gut auf Ihre verrückte Schwester und deren reizende Tochter auf.
Jacob Holmes
Erin lief es eiskalt über den Rücken.
»Krank«, murmelte Donovan.
»Und clever«, meinte Cathy. »Ob tot oder lebendig, er spielt mit Ihnen, Erin. Ich hätte Ihnen diesen Brief lieber nicht gezeigt, aber irgendwie kommen solche Dinge immer ans Tageslicht, und ich wollte nicht, dass Sie es aus anderer Quelle erfahren.«
»Holmes hat Recht, wissen Sie das?« Erin kämpfte gegen die Panik an, die sie dazu trieb, sofort in die Stadt zurückzufahren, zu Claire. Selbst das Wissen, dass Holmes mit ihr spielte, minderte ihre Sorge nicht. »Ich muss zu Claire und Janie.«
»Das halte ich für keine gute Idee«, sagte Donovan. »Wenn es eine Falle ist, wartet er schon auf Sie. Denn er will Sie.«
»Und ich habe mich bereits darum gekümmert«, sagte Cathy. »Ich habe unsere Agenten im sicheren Haus kontaktiert. Dort ist alles ruhig. Aber wir werden Claire für alle Fälle anderswo unterbringen. Außerdem haben wir ein Team in Miami abgestellt, das Ihre Nichte und Marta Lopez im Auge behält. Nur so lange, bis wir sicher sind, dass die Leiche dort im
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